Mit Erfolg simuliert
Industrielle Schalttechnik, Schaltgeräte, Schutzgeräte, Motorstarter, Überwachungs- und Steuergeräte, Positions- und Sicherheitsschalter, industrielle Kommunikation – viele Produkte mit unzähligen Konfigurationsmöglichkeiten und zehn internationale Fertigungsstandorte machen die weltweite Distributionslogistik bei Siemens AG Digital Factory Control Products hoch komplex. Die Experten von valantic unterstützten das Unternehmen bei der Strategischen Netzwerkplanung.
Erschienen in: Logistik Heute 09/2017
Mit den „SIRIUS-Produkten“ bietet die Siemens AG Digital Factory Control Products zentrale Komponenten für die Industrielle Schalttechnik. Nach Projekten zur internen Materialfluss- und Bestandsoptimierung rückte die Frage in den Fokus: Wie lässt sich die Distributionslogistik noch effizienter gestalten?
Industrielle Schalttechnik, Schaltgeräte, Schutzgeräte, Motorstarter, Überwachungs- und Steuergeräte, Positions- und Sicherheitsschalter, industrielle Kommunikation – rund 100.000 Produkte mit unzähligen Konfigurationsmöglichkeiten und zehn internationale Fertigungsstandorte für die lokalen Märkte machen die weltweite Distributionslogistik bei Siemens AG Digital Factory Control Products hoch komplex. Das Herz der Siemens-Geschäftseinheit schlägt in Amberg in Ostbayern. Der Standort beschäftigt 4.700 Mitarbeiter, darunter 800 in Forschung und Entwicklung. Organisatorisch und SAP-technisch gehören die Werke Amberg und Cham zusammen, letzterer, ebenso in Ostbayern gelegener Standort, mit nochmals 700 Mitarbeitern.
Das Distributionszentrum in Amberg hält rund 16.500 Artikel ständig auf Lager und 20.000 weitere werden von hier aus versandt. Das Bestellaufkommen liegt bei rund 920.000 Bestellungen pro Jahr, mit ungefähr 4,9 Millionen Bestellpositionen. Schütz- und Leistungsschalter sind hochwertige Commodity-Produkte, bei denen sich Siemens in Bezug auf Preis und prompte Lieferbarkeit einem starken Wettbewerb stellen muss.
Zur Optimierung der Outbound-Logistik wurde das größte Distribution Center in den Fokus genommen: Der Siemens-Standort in Southaven, Mississippi/USA, der 3.000 bis 3.500 verschiedene Produkte vorhält. Gemeinsam mit seinem langjährigen Partner für Prozess- und IT-Beratung, der Münchner Wassermann AG, suchte das Team um Siegfried Hermann, Director Supply Chain Management bei der Siemens-Geschäftseinheit, nach Möglichkeiten, den Weg der Schütz- und Leistungsschalter zu amerikanischen Kunden weiter zu optimieren.
Die Belieferung der Kunden in den USA erfolgt zu 70 Prozent über Elektrogroßhändler. In der Praxis werden die Produkte somit dreimal eingelagert, bevor sie zu Kunden kommen: im Lager in Amberg, im Distributionszentrum Southaven und schließlich beim Distributor. Ein großer Anteil an Langsamdreher-Produkten verursacht Bestandskosten und das häufige Umpacken auf dem Weg zum Kunden führte zudem zu vermehrten Schäden.
Dargestellt in der Szenariosoftware COLUMBUS: Belieferung der Kunden durch das US-Distributionszentrum Southaven (Ist-Situation).
„Die Herausforderung war: Wir wollen besseren Service für unsere Kunden, die Reklamationen reduzieren, die Performance verbessern – Liefertreue und Lieferfähigkeit – wir wollen die Turns erhöhen und wir wollen unsere Kunden dabei nicht schlechter bedienen als vorher“, so Siegfried Hermann bei der Vorstellung des Projekts auf dem SCM-Kongress Vision-Days 2017 in München. Die Frage, der man vor dem Hintergrund dieser Herausforderung mithilfe der Wassermann AG und ihrer Szenariosoftware „COLUMBUS“ nachgehen wollte: Warum beliefern wir unsere Distributoren nicht direkt aus Deutschland?
Mit COLUMBUS können Szenarien der Logistiknetzwerkplanung detailliert simuliert werden. Für die Siemens AG Digital Factory Control Products wurde die Software mit Daten für drei Szenarien gefüttert. Zunächst wurde als Referenz die Ist-Situation abgebildet. Als zweites Szenario wählte das Team Dropshipments und somit einen völligen Wegfall des Distribution Center Southaven. Das dritte Szenario sieht vor, nur 200 Schnelldreher, per Schiff geliefert, auf Lager in den USA zu halten.
Zwei Details der Ist-Situation: Aufgrund der geringen Größe der Produkte spielte Seefracht bisher keine Rolle. Die Luftfracht zu Economy-Konditionen dominierte. Etwa 20.000 Lieferungen pro Jahr gingen bereits bisher direkt aus Amberg zu amerikanischen Kunden. Ein wichtiges Argument für die Abschaffung oder Einschränkung einer Lagerung im Siemens Distribution Center. Hermann betont: „Wir wollten auch unsere Sales-Kollegen mit ins Boot nehmen. Nicht, dass die Logistik etwas macht, was für den Vertrieb kontraproduktiv ist.“
Für die Simulation in COLUMBUS wurden mehrere Tausend Kundendaten eingespielt, Tausende Produktdaten und mehrere Hunderttausend Bewegungsdaten mit zum Beispiel Stückzahlen und Gewichten. Wassermann steuerte aus seinen Erfahrungswerten aus anderen Projekten Daten zu Handling-Kosten wie Kommissionierung bei. „Die Szenariosoftware COLUMBUS erlaubt auf dieser Basis eine ganze Reihe interessanter Auswertungen“, sagt Dr. Christoph Pitzl, Managing Consultant bei der Wassermann AG. So zeigte sich etwa, dass die bisher praktizierte Mitnutzung des Konzernlagers in Southaven angesichts der geografischen Verteilung der Kunden – viele Abnehmer der „SIRIUS“-Produkte sind in den klassischen Industriezentren im Nordosten beheimatet – für die Lieferzeiten nicht unbedingt von Vorteil war.
„Wie zu erwarten, ergab die Simulation des Dropshipments deutlich steigende Transportkosten, insbesondere durch die Nutzung von Expresstarifen“, erklärt Pitzl. Überraschend aber sei ein anderes Ergebnis der COLUMBUS-Simulationen gewesen – die Handling-Kosten fallen viel stärker ins Gewicht als die Transportkosten: Eine vollständige Umstellung der Materialversorgung der USA auf Dropshipments kann danach eine Einsparung von rund 950.000 Euro pro Jahr erzielen.
Doch wie sieht es mit den Lieferzeiten aus? Kann der Service verbessert werden? Mit der Nutzung von Expressdiensten sinken die Transportlaufzeiten von sechs bis sieben Tagen auf zwei bis drei Tage. 25 Prozent der Lieferungen aus Southaven könnten in der gleichen oder in sogar deutlich kürzerer Zeit aus Amberg kommen. Hierzu verglich das Team die Lieferzeiten bei bisherigen Auslieferungen ab Southaven mit den Lieferzeiten mit Dropshipments über einen Hub des KEP-Dienstleisters in Cincinnati, Ohio. Das Ergebnis: Zehn Prozent mehr Kunden können innerhalb von drei Tagen bedient werden, dank der Dichte an Kunden in Ohio und Umgebung sogar 16 Prozent mehr Kunden innerhalb eines Tages.
Aus der Simulation ergab sich eine eindeutige Empfehlung: Umstellung auf Direktbelieferung aus Amberg. Für den Auszug aus dem Siemens-eigenen Distribution Center musste somit ein geregeltes Übergangsszenario gefunden werden. Die Einrichtung besteht aber auch ohne den maximal 20 Prozent ausmachenden Anteil der Business-Einheit Digital Factory Control Products weiter, zumal andere Bereiche hier wachsen und die frei werdenden Kapazitäten nutzen werden.
Die Umstellung schreitet rasch voran und eine detaillierte Auswertung über einen Zeitraum von zehn Wochen Ende 2016 zeigte, dass die neue Distributionslogistik in 98 Prozent der Fälle schneller ist als bisher – und das trotz eines Pilotenstreiks in einer der Wochen. Die Transportschadensrate lag bei nur 0,57 Prozent. Während die Umstellung läuft, sucht Siemens das Gespräch mit seinen Distributoren. Die wenigen, für die sich die Lieferzeit erhöht – wie etwa die in Mississippi und Tennessee, die bisher von der räumlichen Nähe des Distributionszentrums profitierten – müssen ihren Bestand leicht erhöhen. Doch wie für alle anderen gilt auch für diese Kunden der gewaltige Vorteil in der Verfügbarkeit: Statt 3.500 können sie jetzt 16.500 Produkte ab Lager bestellen.
„In einem Markt, der hohe Ansprüche an kurze Lieferzeiten und niedrige Kosten stellt, hätte wohl kein Logistikexperte aus dem Bauch heraus das Lager vor Ort aufgegeben und auf Expressluftfracht gesetzt“, sagt SCM-Berater Pitzl. „Doch was für viele andere Unternehmen und Produktgruppen unsinnig gewesen wäre, für Siemens AG Digital Factory Control Products war es in dieser Situation genau das Richtige. Vorbereitet und gefördert wurde die mutige Entscheidung durch die vorherige Simulation. Bei Logistiknetzwerkplanungen sollte man auf diese Art der IT-Unterstützung nicht verzichten, denn erst dadurch wird die Komplexität solcher globalen Zusammenhänge beherrschbar.“
Den Artikel aus der Logistik Heute 09/2017 finden Sie hier im Download.
Mit COLUMBUS verfolgen wir ein Ziel: Logistische Netzwerke so einfach, effizient und benutzerfreundlich wie möglich zu gestalten.