Kommt Ihnen beim Stichwort Customer Experience (CX) sofort SAP in den Sinn? Oder denken Sie umgekehrt bei SAP zwangsläufig an CRM und CX? Den meisten dürfte es eher nicht so gehen, denn der Begriff Customer Experience ist von anderen, eher spezialisierten Konkurrenten besetzt. SAP selbst hat es mehrfach versäumt, das eigene CX-Profil zu schärfen. Das ist schade, denn das CX-Portfolio der SAP muss sich nicht hinter dem der Konkurrenz verstecken.
CX, das zur Einordnung an dieser Stelle, ist ein nicht klar definierter, breiter Sammelbegriff für alle kundenbezogenen Aktivitäten. Er umfasst klassische CRM-Disziplinen wie Kundenakquise und Kundenbetreuung und erstreckt sich darüber hinaus auf Lösungen für Vertrieb, Service und Marketing sowie die datenbasierte Auswertung von Kunden-, Verkaufs-und Marketingdaten.
SAPs frühes CRM-Engagement
Fakt ist, dass SAP bemerkenswert früh in das CRM-Geschäft eingestiegen ist und die eigene ERP-Plattform schon sehr bald um Funktionen für das Kundenbeziehungs-Management ergänzt hat. Beispielsweise ist das Modul Sales & Distribution (SD) schon seit Anfang der 1990er Jahre ein Teil des SAP-Kerns und ist es bis heute geblieben, auch im aktuellen SAP S/4HANA-Kern.
Man kann SAP auch nicht mangelnden Willen vorwerfen, denn SAP investierte von Beginn an immer wieder und zum Teil sehr intensiv in den Ausbau der CRM-Funktionen. Sehr früh, im Jahr 2000, erwarb SAP beispielsweise den damals anerkannten Spezialisten für Sales Force Automation (SFA), Kiefer & Veittinger, und deren „Mobile Sales“-Applikationen.
Insbesondere in den 2010-er Jahren hat die SAP das CX-Portfolio durch eine Vielzahl von Akquisitionen gezielt erweitert:
- Hybris wurde im Jahr 2013 übernommen. Das Unternehmen entwickelte und vertrieb eine Omnichannel-Commerce-Software, die alle Vertriebskanäle und Lösungen in einer einzigen Plattform integrierte. Hybris war sicherlich eine der wichtigsten CX-Akquisitionen von SAP. Die Produkte von Hybris bildeten zunächst zusammen mit Qualtrics und weiteren CX-Produkten von SAP den Kern der SAP C/4HANA Suite. Heute liefern Hybris-Lösungen das Grundgerüst für die SAP Commerce Cloud.
- Callidus Software: Die im Jahr 2018 übernommene CallidusCloud ermöglicht es Unternehmen, die richtigen Leads zu identifizieren, eine korrekte Gebiets- und Angebotsverteilung zu gewährleisten, Vertriebsmitarbeiter zu aktivieren, Preisangebote zu automatisieren und die Vertriebsvergütung zu optimieren. Heute finden sich viele Elemente in SAPs Sales Cloud wieder. Zudem sorgen CallidusCloud-Bestandteile für eine Verknüpfung von CX-Daten mit den ERP-Prozessen.
- Gigya, ebenfalls im Jahr 2018 übernommen, brachte eine Lösung für das Identitäts- und Zugangsmanagement von Kunden in das SAP-Portfolio ein. Die Plattform hat vor allem die datenbasierte Analyse im SAP-Portfolio vorangebracht.
- Coresystems war vor der SAP-Übernahme im Jahr 2018 ein Spezialist für das Außendienst-Management. Die KI-basierten Funktionen helfen Kunden bei der Personal- und Einsatzplanung. Die erworbenen Funktionen hat SAP in die SAP Service Cloud überführt.
- Emarsys ist eine weitere wichtige CX-Akquisition der letzten Jahre. Die Emarsys-Lösungen werden von Unternehmen eingesetzt, um Kunden über mehrere Interaktionskanäle, wie E-Mail, SMS oder mobile Apps, in strukturierter, automatisierte und individueller Form anzusprechen. Folgerichtig bereichern die Emarsys-Funktionen heute die SAP Marketing Cloud.
Unklarer SAP-Kurs bei der CX-Markenbildung
Gelinde gesagt zeigte sich SAP selbst immer wieder etwas unentschlossen und agierte unglücklich bei der eigenen Markenbildung im CX-Umfeld. CX-Spezialist Qualtrics wurde beispielsweise im Jahr 2019 für viel Geld und mit großem Bohei übernommen, nur um es weniger als zwei Jahre später als separate, nicht integrierte Unit wieder in die Selbstständigkeit zu entlassen. Aktuell wird offenbar sogar der vollständige Verkauf von Quatrics diskutiert.
Der Versuch der damaligen SAP-Führung unter Bill McDermott, mit SAP C/4HANA rund um die Qualtrics-Übernahme eine eigene Dachmarke für sämtliche CX-Lösungen zu schaffen, war zunächst vielversprechend und wurde vielerorts wohlwollend aufgenommen. Leider wurde diese Idee vom neuen SAP-Management unter Christian Klein bald wieder stillschweigend einkassiert. Dem mit der SAP C/4HANA-Marke verbundenen Integrationsversprechen wollte man sich dann doch eher nicht verpflichten.
Kurz und gut: Die Historie von SAP im CRM- und CX-Markt ist geprägt von großen Investitionen, vielen versäumten Gelegenheiten und einigen schwer nachvollziehbaren Wendungen. Es mag gute Gründe für die jeweiligen Entscheidungen gegeben haben, die damaligen Abzweigungen zu beschreiten, doch sie waren oft nicht transparent. Unterm Strich drängt sich der Eindruck eines verwirrten Zickzackkurses im CRM- und CX-Umfeld auf. Kein Wunder, dass sich SAP heute mit einem etwas derangierten Image im CRM-/CX-Markt präsentieren muss.
SAPs CX-Portfolio ist wettbewerbsfähig
Bezogen auf die CX-Möglichkeiten im SAP-Portfolio ist die dürftige Außendarstellung allerdings nicht gerechtfertigt. Die meisten Akquisitionen haben sich – wie bereits zuvor angedeutet – durchaus bewährt und das vorhandene Angebotsspektrum sowohl in der Breite als auch in der Tiefe verbessert.
Besondere Stärken zeigt SAP beispielsweise im Commerce-Bereich, basierend auf der Hybris-Übernahme. Die SAP Commerce Cloud ist sicherlich keine Lösung für kleine Unternehmen (wo in der Regel bevorzugt Lösungen wie Adobe Magento zum Einsatz kommen), sondern eignet sich eher für komplexe Anwendungsfälle. Die modulare Lösung deckt Anforderungen für den B2B-, B2C- und B2B2C-Einsatz ab und kann mit vielschichtige Datenstrukturen umgehen. Vor diesem Hintergrund sind Fähigkeiten wie kundenindividuelle Anpassbarkeit der Prozesse und Systemskalierbarkeit wichtige Merkmale.
Auch die SAP Sales Cloud wurde im Lauf der Jahre bezogen auf das Funktionsspektrum deutlich ausgebaut. Das spiegelt sich zum Beispiel in den umfangreichen Möglichkeiten zur Prozessautomatisierung wider. Mit Blick auf das Sales Performance Management ist es SAP gelungen, eine performante Lösung zur Verfügung zu stellen, um die Leistung des Verkaufsteams inklusive Bonus- und Kompensationen zu analysieren und verwalten.
Und auch wenn das Thema Sales Force Automation sehr stark vom (nahezu) gleichnamigen SAP-Wettbewerber dominiert wird, gilt die SAP Sales Cloud ohne Zweifel als ein Premiumprodukt, wenn es darum geht, Kunden-zentrierte Verkaufsprozesse zu etablieren.
Erwähnenswert ist zudem die Customer Data Plattform, die die Basis für eine Datenintegration über alle CX-Clouds der SAP ermöglicht. Damit ist ein nahezu vollständiger Blick auf jeden einzelnen Kunden möglich, was wiederum den Weg zu personalisierten Verkaufs-, Services- und Marketing-Aktivitäten ebnet.
Die hier dargestellten Funktionen und Möglichkeiten bilden nur einen Teil der breiten Angebotspalette von SAP im CX-Umfeld. Dennoch ist SAPs CX-Portfolio nach wie vor keinesfalls komplett, und in einzelnen Segmenten gibt es durchaus Lücken im Vergleich zum Wettbewerb.
Kein Wettbewerber ist komplett
Doch das ist bei den Wettbewerbern auf nicht anders. Beispiel Salesforce: Keine Frage, das Unternehmen hat einen tollen Job bei Cloud-basiertem CRM gemacht, hat das Portfolio konsequent ausgebaut, etwa in Bereichen wie Analytics (Tableau), Integration (MuleSoft) oder Kommunikation (Slack), und hat mit Einstein eine bemerkenswerte KI-Plattform aufgebaut. Im Marketing und im Kundenservice sind andere Wettbewerber aber besser aufgestellt, und vor allem hat sich Salesforce vor vielen Jahren dagegen entschieden, auch ein ERP-Standbein aufzubauen, hat also bewusst eine tiefe ERP-CX-Integration ausgeschlossen. Ähnliche Überlegungen lassen sich auch für ServiceNow, Microsoft Dynamics, Pega, Adobe oder Oracle anstellen, um einige der wichtigsten SAP-Wettbewerber im CX-Umfeld zu nennen.
Kein Wettbewerber ist komplett
Der einfache Vergleich der Plattformen aus einer Vogelperspektive hat zudem mit der Realität und den spezifischen Anforderungen der Kunden relativ wenig zu tun. Bei der Entscheidungsfindung für oder gegen eine CX-Lösung spielen sehr viele Faktoren eine Rolle, darunter in erheblichem Maße beispielsweise auch die Integrationsfähigkeit auf Daten- und Prozessebene.
SAPs Stärken liegen in den Geschäftsprozessen
SAP ist eigentlich ein ERP-Anbieter. Es gibt wohl kaum einen Softwareanbieter weltweit, der die Kernprozesse von Unternehmen rund um Finanzen, Controlling, Lieferketten, Einkauf und Verkauf besser kennt als SAP. Dieses Pfund ist ganz entscheidend, wenn es um die Integration von CRM- und CX-Aktivitäten und ERP-Prozessen und -Daten geht.
Zugebenermaßen sind SAPs CX-Lösungen selten in SAP-fremden Umgebungen erste Wahl. Unternehmen, die eine ERP-Lösung von Oracle, Microsoft, Workday, Sage, Unit4 oder Infor implementiert haben, werden sich kaum für ein CX-Produkt von SAP entscheiden, sondern vermutlich eine Lösung vom gleichen ERP-Hersteller (Oracle, Microsoft) oder eine Best-of-Breed-Lösung wählen. Ausnahmen gibt es, sind aber wirklich rar gesät.
Doch überall dort, wo SAP mit seinen ERP-Applikationen die Kernprozesse abbildet, wo derzeit noch an der Migration Richtung SAP S/4HANA gearbeitet oder geplant wird, sind Angebote wie SAP Sales Cloud, SAP Commerce Cloud, SAP Marketing Cloud und SAP Services Cloud und vor allem die gemeinsame Plattform für Kundendaten eine sehr gute Option für die Implementierung von spezifischen CX-Funktionen in einer umfangreichen und integrierten ERP-CX-Umgebung.
Zwar ist die Integration zwischen ERP- und CX-Part nicht so tief, wie sich das viele Kunden wünschen würden, weil die Applikationen beispielsweise mit unterschiedliche Daten-Layern arbeiten. Doch SAP arbeitet stetig an einer engeren Prozessanbindung beziehungsweise an plattformübergreifenden Datenmodellen mit Ansätzen wie SAP One Domain Modell oder SAP Graph. Perspektivisch wird sich die Integration innerhalb der SAP-Welt also deutlich verbessern.
Der Bedarf an CX-Implementierungen wird nach Einschätzung von PAC weiterhin deutlich steigen, unter anderem aus klassischen B2B-Märkten wie Maschinenbau, Fertigung, Großhandel und Energieversorgung, in denen die CX- und CRM-Prozesse in der Vergangenheit ebenfalls etwas stiefmütterlich behandelt wurden. Es wird also spannend sein zu sehen, was nach der SAP S/4HANA-Migrationswelle kommt.