„Employee Experience bedeutet für mich auch eine gesunde und nachhaltige Leistungskultur zu schaffen, um so höchstmöglichen Wert in Richtung Kunden zu erzeugen und damit den gemeinsamen Purpose aller langfristig zu unterstützen.“
Marc Wagner ist Senior Vice President für das Service-Feld
"Employee Experience" bei Atruvia AG.
Dr. Winfried Felser: Lieber Marc, vor fünf Jahren hast Du Dein Buch zum Thema „New Work“ veröffentlicht. Wo siehst Du uns heute, was die Zukunft der Arbeit angeht, und wie ordnest Du neue Themen wie Remote und Hybrid Work oder auch Employee Experience ein?
Marc Wagner: New Work ist in den vergangenen Jahren im Mainstream angelangt. Wenn ich mir Google Trends als Indikator für die Entwicklung der Relevanz anschaue, dann wurde in Deutschland der Spitzenwert 100% für „New Work“ im Oktober 2019 erreicht. Der Aufstieg begann parallel 2017, zufällig nach Veröffentlichung unseres Buches 😉. Wir sind jetzt auf dem Etablierungs-Plateau von Mitte 2019 bis heute. Das ist international durchaus anders, dort liegt der Schwerpunkt früher.
Mit der Etablierung ist New Work leider auch oft ein Sammelbegriff für Alles und Nichts geworden. Was aber ist jetzt wirklich relevant? Gerade mit Covid-19 und der Remote-Work- bzw. Hybrid-Work-Welle ist es an der Zeit, sich mal wieder zu überlegen, worüber man jetzt und in Zukunft sprechen möchte und worauf es wirklich ankommt. Natürlich gewinnen Remote Work und Hybrid Work aktuell enorm an Relevanz und sie stellen auch einen wichtigen Lösungsbaustein dar -gerade jetzt. Der Vergleich „weltweit“ zeigt die neue Dominanz:
Wenn man sich den New Work Index von Team Energy Factor St. Gallen um Heike Bruck und dem HR Pepper-Team um Matthias Meifert anschaut, dann haben natürlich auch dort in der Covid-Krise vor allem technologie-orientierte Themen zugelegt, z.B. virtuelle Teams von unter 40% auf deutlich über 80%. Die Vertrauenskultur legte hingegen nicht zu, flexible Strukturen und Agilität nur gering.
Aber ist „Remote“ und „Hybrid“ wirklich genug „New Work“? Ich glaube wir müssen in größeren Bildern denken und auch wieder so etwas wie kopernikanische Wenden zurück nach vorne wagen.
Dr. Winfried Felser: Du wünschst Dir bei New Work eine Rückbesinnung, aber dann eher als neuen Aufbruch und weniger als Konservierung. Was haben wir uns darunter vorzustellen?
Marc Wagner: Der Begriff New Work, den Frithjof Bergmann prägte, beschäftigte sich ursprünglich mit ganz anderen Themen als nur mit der Reduktion auf Technologie, Home-Office oder Remote bzw. Hybrid Work, so wichtig diese Themen in Zeiten der Pandemie geworden sind.
Bei Bergmann ging es auch um organisatorische und gesellschaftliche Perspektiven, um die Frage des Gesamtsystems. In gewisser Weise ging es damals sogar um ein Alternativ-Modell zu Kapitalismus und Sozialismus. Bergmann erkannte u.a. durch seine Reisen in den Ostblock, dass die reinen Lehren des Sozialismus wie aber auch des ungezügelten Kapitalismus keine Perspektiven für die Zukunft sind.
Man muss im Sinne eines dritten Weges ein neues „Communis“, ein anderes „Gemeinsam“ finden. Die Frage der „Sinnstiftung“ – vielleicht die essenzielle „DNA“ des Begriffs New Work im Bergmann‘schen Sinne – kann meiner Meinung nach da auch in Zukunft richtungsweisend sein, um aus neuen Herausforderungen und Fragestellungen neue Lösungen abzuleiten. Heute geht es vielleicht etwas platt formuliert, um die Frage, wie eine sinnvolle Lebens- und Arbeitsgestaltung i.w.S. vor dem Hintergrund von sich komplett veränderten Rahmenbedingungen aussieht. Diese Frage gilt es entlang all der Dimensionen neu zu beantworten, die wir damals auch in unserem Buch schon aufgeführt haben: Mensch und Organisation; Arbeitsumfeld, aber natürlich auch Nutzung von Technologien und Daten, und last, but not least Gesellschaft!
Insofern mahnen uns Bergmann und sein Lebenswerk, dass wir nicht zu kurz springen sollten. Zu kurz würden wir aber auch springen, wenn wir Bergmann nur konservieren. Seine Konzepte für unsere Zeit weiterdenken, wird ihm eher gerecht, diese Chance sehe ich beim Thema People Experience.
Dr. Winfried Felser: Im vergangenen Jahr hast Du mit anderen Köpfen wie z.B. Frauke von Polier, damals SVP COO People bei der SAP, für das Thema Employee bzw. People Experience und eine neue Mitarbeiterorientierung geworben. Zugleich haben Du und Frauke klar gemacht, dass auch „Performance“ kein Drohwort ist. Kommen wir zu einer neuen Balance der Stakeholder-Interessen?
Marc: Schon 2016 haben wir in einer Frühphase als Detecon gezeigt, dass sich New Work positiv auf die Arbeitgeberattraktivität auswirkt.
Bereits in unserer damaligen Untersuchung gemeinsam mit HR Impulsgebern und der DHBW Baden-Württemberg dominierten bei niedriger Arbeitgeber-Attraktivität die Unverbesserlichen, während bei hoher Arbeitgeberattraktivität die „Modern Champions“ auf dem Vormarsch waren. Mitarbeiterzufriedenheit ist aber nur eine Seite der Medaille. So weit, so gut. Ein mir persönlich auch sehr wichtiger Punkt ist das Stichwort „Performance“, weil es am Ende die Mitarbeiter*innen vor der Krise des Unternehmens schützt.
Zeitgleich zu unserer Studie hatte Heike Bruch 2016 mit ihrem Team analysiert, wie sich in der Frühphase New Work auf die Performance auswirkte und hier zeigten die Überforderten eine deutliche Unterperformance, weil die Unternehmen mit der Transformation überfordert waren und vielleicht oft auch der Fokus auf bessere Performance fehlte.
New Work bedeutet also nicht zwangsweise bessere Performance, was aber nicht vernachlässigt werden darf. Dies ist einer der Trugschlüsse oder Fehlentwicklungen im New-Work-Kontext, dass das Thema „Leistung / Leistungsorientierung“ und „Performance“ gerne verteufelt wird, so im Sinne von: „Nur wenn es Spaß macht – und zwar Spaß im Sinne reiner Freizeitfokussierung, ist es New Work“. Das sehen Kreative z.B. ganz anders, für die ihr Beruf oft Berufung ist. Probleme folgen dann, wenn dieser Spaß mal nicht da ist bzw. Druck durch Kunden entsteht oder man mal mehr arbeiten muss, wie bei der Tesla-Diskussion gesehen, als Elon Musk Probleme mit der Produktion hatte. Und genau deswegen glaube ich, ist es ganz wichtig, diesen verklärten Blick wieder klar zu kriegen, nämlich, dass es am Ende des Tages bei jeder dieser Tätigkeiten wirklich darum geht, den größtmöglichen Sinn für alle Stakeholder zu stiften.
Den größtmöglichen Sinn aus Sicht aller Stakeholder zu stiften, bedeutet, Werte in Richtung Kunde zu schaffen; und diese Werte Richtung Kunden schaffe ich nur dann, wenn ich entsprechend Leistung und Performance erbringe. Damit sichere ich die nachhaltige Existenz des Unternehmens. Und wenn man das so sieht und verstanden hat, ist Leistung und Performance schon fast etwas Positives 😉. Das heißt dann nämlich, dass ich meine Potenziale bzw. meine Fähigkeiten im Sinne der gemeinsamen Ziele optimal einbringe, um den größtmöglichen Kundenwert zu erzeugen. Genau dies ist die Vision unseres Employee-Experience-Bereichs.
Dr. Winfried Felser: Mancher war vielleicht erstaunt, dass Du zu einer Genossenschaft gegangen bist. Mit den beiden CHRO of the Year Jörg Staff und Julia Bangert stehen aber gerade zwei CHRO von Genossenschaften für den Aufbruch des Personalmanagements. Wie bewertest Du aus eigener Erfahrung das Genossenschafts-Modell und was lässt ein neuer Name wie Atruvia noch erhoffen?
Marc: Das Thema Genossenschaft war mir, bevor ich mich bewusst für Atruvia entschieden habe, auch gar nicht in seinen Potenzialen so bewusst, bis ich mich dann im Vorfeld meines Starts intensiver damit beschäftigt habe, auch um meine Entscheidung bewusst zu treffen.
Dabei sind die Genossenschaften laut DRGV mit ihren über 7.000 Unternehmen und über 22,6 Millionen Mitgliedern die mit Abstand größte Wirtschaftsorganisation in Deutschland und dadurch auch eine sehr relevante treibende Kraft für Wirtschaft und Gesellschaft. Für diese Wirtschaftsform über New Work und People Experience nachdenken zu dürfen, hat also potenziell eine wesentliche Auswirkung auf die Arbeitswelt. Genossenschaft und New Work passen also in gewisser Weise natürlich zusammen.
Der Begründer der ersten Genossenschaftsbewegung Robert Owen hat laut Wikipedia bereits Ende des 18. Jahrhunderts ein Experiment für menschenwürdigere Arbeits- und Lebensbedingungen in seiner Baumwollspinnerei in New Lanark durchgeführt. Genossenschaften im deutschsprachigen Raum sind, wenn ich es richtig im Kopf habe, über 170 Jahre alt. Damals hat sich der Vater dieses Ansatzes, Herr Raiffeisen, unter dem Claim „Was einer alleine nicht schafft, schaffen viele“ auf den Weg gemacht. Und ich meine, dieser Claim allein ist schon der Hammer, wenn man ihn sich auf der Zunge zergehen lässt.
Die Werte Raiffeisens und der Genossenschaften gehen zukunftsweisend in Richtung einer partizipativen Mitwirkung und Beteiligung aller, es geht um nachhaltigen Stakeholder-Value im weitesten Sinne. Aus meiner Sicht ist das genossenschaftliche System optimal geeignet, um die alten New Work-Ideen in die Umsetzung zu bringen und zwar in einer sinnvollen ökonomischen und damit auch nachhaltigen Art und Weise. Also ein neues „Communis“, aber nicht als Kommunismus, sondern wirklich als ein neues Gemeinsam. Kommunismus funktioniert eben in seiner reinen Lehre einfach nicht und auch die vielen „unreinen“ Reformbemühungen scheiterten. Am Ende hast Du in der Struktur dann doch irgendeine Machtelite, die die Macht ausnutzt. Dann realisiert man gar keinen Kommunismus, sondern elitäre Staatsbürokratien, die ihre Macht mit Gewalt sichern. So hat der Kommunismus sein ursprüngliches Wertversprechen nie erfüllt. Und da haben wir wieder die Brücke zu Frithjof Bergmann und einem alternativen Weg. Das ist ganz genau der Punkt, warum Bergmann gesagt hat, wir brauchen neben Kommunismus und Kapitalismus auch „New-Work“. So ist das genossenschaftliche Denken ein ganz aktuelles Thema. Dieses neue Gemeinsam ist genau das Prinzip von Plattform-Ökonomie, aber nicht das der dunklen Plattform-Ökonomie missbräuchlicher Monopolisten. Vielmehr folgen Genossenschaften eher der Ökosystem-Logik, weil man in ihnen die kokreative Zusammenarbeit im Ökosystem betont, die jenseits von Silos die synergetischen Potenziale nutzt.
„Und dazu passt auch nicht zuletzt unser Unternehmensname, dessen Assoziationen ja in Richtung „neuer richtiger Weg“ geht. Das ist ein hoher Anspruch, der aber sehr motivierend ist. Auf diesem Weg ist man gerne dabei.“
Dr. Winfried Felser: Reiner Straub hob als Herausgeber des Personalmagazins bei der Auszeichnung von Jörg Staff die Relevanz Eures Wandels über das Unternehmen hinaus hervor. Über die Genossenschaft Atruvia führt der Weg von New Work zum größeren Bild eines „Rebuildings“ von Unternehmen und Gesellschaften, mit dem Du Dich bei Detecon beschäftigt hast. Bleibt das große Bild relevant?
Marc: Ja, die Ideen, die mich schon bei „Company Rebuilding“ bewegt haben, bleiben natürlich relevant und es ist durch die Pandemie-Situation und auch die Entwicklungen, die wir aktuell sehen, nochmal verstärkt worden. Die Idee eines Rebuildings einer monolithischen Konzern-Struktur in Richtung agiler Zellen und Ökosysteme ist ja, dass wir kleine, sehr kundenzentrierte, flexible und robuste Strukturen brauchen. Der Vater dieses Gedankens, Gerhard Wohland hatte hier als ehemaliger Detecon-Berater mit seinen Studien und Büchern die Grundlagen gelegt. Ein wichtiges Element dieser Thematik ist die maximale Anpassungsfähigkeit, das zweite ist vor allem, dass wir eben „keinen Bullshit“ und unnötigen Overhead brauchen, sondern den klaren Fokus auf werte- und kundenorientierten Lösungen.
Viele der Best-Practice-Bespiele zu „Company Rebuilding“ sind von solchen flexiblen Strukturen und einer Steuerung, die eher über das Ökosystem und über gemeinsame Werte läuft, mit einem sehr nachhaltigen Werteentwicklungsversprechen, also alles Elemente, die auch im Kontext Genossenschaft in unserer Zeit relevant sind. Und der zweite wichtige Punkt zu „Company Rebuilding“ und Genossenschaften: Wir sehen die Historie als Asset und nicht als Last.
Die Erfahrung, die wir und unsere Mitarbeitenden in der Genossenschaft gesammelt haben, sind für uns ein Asset, um uns zu positionieren. Das ist nicht etwas, was wir loswerden wollen, sondern etwas, das die Grundlage für Neues schafft. Durch Rebuilding!
Deswegen sagen wir, dass diese Zellstrukturen sich aus dem Bestehenden bilden. Sie nehmen die Historie bzw. die Erfahrung mit und bringen sie in einen neuen Kontext, in dem jeder das eigene Potenzial im Sinne der neuen Anforderungen viel besser entwickeln und entfalten kann. Wir brauchen keine zerstörerische Revolution, keine Great Resets, in Zeiten wie diesen, sondern eher etwas, das einen evolutionären Charakter hat und die Menschen auf eine seriöse Art und Weise mitnimmt. Schon in Richtung eines revolutionär radikalen Zielbilds, aber den Weg dahin evolutionär aufzeigt. Wie Reiner Straub so schön gesagt hat: Wir haben mit dieser Organisationsstruktur und dem Umfeld, die Chance, eine der coolsten Transformationen in Deutschland und darüber hinaus hinzulegen. Damit wollen wir uns dann auch in die breite Diskussion einbringen. Und da schließt sich der Kreis zu New Work und Bergmann. Wir müssen gerade im Zeitalter einer neuen Relevanz der Nachhaltigkeit jenseits von Remote und Hybride Work wieder mehr über die Neuausrichtung von Organisationen und Ökonomien nachdenken – idealerweise in Balance der Interessen aller Stakeholder, damit aber auch im Sinne gemeinsamer Performance.
Mit diesem Blick zurück nach vorne gelingt uns dann in gewissem Sinne eine doppelte kopernikanische Wende bei New Work, mit der Bergmann hoffentlich zufrieden wäre. Hier hoffe ich auch auf viele Inspirationen im Rahmen der Diskussionen von NewWork.Now!