Handelsunternehmen haben – nach Prognosen des HDI – allein in 2024 ein Marktpotentials von 672 Milliarden Euro. Dazu müssen sie allerdings ihre Kosten in den Griff bekommen und ihre Erlöse erhöhen. Für diese Herausforderung haben sich KI-Tools als Problemlöser erwiesen.
Dem Handelsunternehmen Contorion ist es gelungen, durch KI seine Prozesskosten zu senken und die Verarbeitungsgeschwindigkeit zu verbessern. Auf diese Weise hat die Kundendienstabteilung mit ihren 13 Teammitarbeitern den zeitlichen Aufwand für Routinetätigkeiten um etwa 40 Stunden pro Woche reduziert. Dies gelang durch eine KI-gestützte Automatisierungsrate von mehr als 95 Prozent für die monatlich 12.000 zu überprüfenden Dokumente. Insgesamt offeriert das Unternehmen für Handwerk und Industrie rund 500.000 Produkte vom Dübel bis zum Winkelschleifer.
Zuvor war die Kundendienstabteilung durch die Verarbeitung und Überprüfung von Auftragsbestätigungen mit langwierigen Aufgaben beschäftigt. In diesen Dokumenten unterscheiden sich Inhalt und Datenplatzierung von Lieferant zu Lieferant. Herkömmliche Technologien wie vordefinierte Vorlagen oder layoutspezifische Datenextraktionen helfen nicht weiter.
Hier setzt KI an. Sie nutzt für die Bearbeitung von Dokumenten Algorithmen, die nicht trainiert werden müssen und die im laufenden Betrieb im Hintergrund weiter lernen. Wenn das KI-Tool bei der Datenextraktion auf ein Problem stößt, wird ein Sachbearbeiter informiert, der das fragliche Datenfeld prüft und gegebenenfalls korrigieren.
KI-Helfer arbeiten im HIntergrund
„Wir müssen die Auftragsbestätigungen gar nicht mehr anfassen, das ist sehr zufriedenstellend“, sagt Stefan Underwood, Head of Logistics bei Contorion. Die KI-basierte Automatisierungslösung ermöglicht nun Mitarbeitern, die Kunden- und Lieferantebeziehungen aktiv zu managen, statt sich mit unproduktiver Verwaltungsarbeit aufzuhalten.
Auch große Unternehmen setzen auf KI. „Für den Handel und die Rewe Group ist Künstliche Intelligenz (KI) längst nicht neu“, sagt Christoph Eltze, Chief Digital and Technology Officer (CDTO). Er ist im Vorstand der Rewe Group für technische Innovationen verantwortlich. So hat sich der Handelsriese bereits seit Jahren mit den Chancen und Risiken von Künstlicher Intelligenz beschäftigt. „Als eines der ersten Unternehmen im Handel haben wir ein KI-Manifest veröffentlicht, das konkrete Handlungsempfehlungen für unsere Developer bei der Entwicklung und Nutzung entsprechender Anwendungen liefert.“ Doch auch bei der praxisnahen Anwendung von KI will das Kölner Unternehmen ganz vorne mitspielen.
Detektivarbeit mit KI
Ein Beispiel dafür ist eine KI-Suchhilfe. Denn es bisher ist es für Mitarbeitende im Lebensmitteleinzelhandel eine detektivische Suchaufgabe, wenn sie Artikel finden sollen, die in irgendeinem Regal versteckt oder ausverkauft sind. Das ist ist zeitintensiv und wenig produktiv. Um das Problem zu lösen, hat das Rewe Analytics-Team das Projekte „Holmes“ entwickelt Der Begriff steht für Holistic Management of Exceptional Salespattern. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz unterstützt das Tool das Personal der Märkte dabei, vermeintlich verschollene Waren aufzuspüren.
„Wir schauen uns gezielt Transaktionsdaten im Markt an und analysieren sie mit Hilfe von KI. Dabei lassen sich bestimmte Muster erkennen, die wir dann nutzen, um Auffälligkeiten beim Abverkauf zu erklären, erläutert Lorenz Determann, Bereichsleiter Analytics. Dazu wurde die KI zunächst mit tausenden Kassenbons trainiert, damit sie Muster erkennen und immer weiter verfeinern konnte. So wurde die KI stetig besser und genauer darin, Auffälligkeiten zu identifizieren.
Zusätzlich unterstützen die Marktmitarbeiter nun die Arbeit an der Liste mit Feedback: „So können wir die gelernten Muster nicht nur in der Praxis im Markt überprüfen, sondern helfen auch, sie immer weiter zu verbessern. Die ausgeklügelte Technik kann die Mitarbeitenden in den Märkten unterstützen ”, erklärt Alexander Moser, Leiter Digitalisierung, Projekte und Prozesse – Vertrieb bei Penny.
KI erleichtert die Arbeit
Neben solchen Backstore-Anwendungen, bei denen KI-basierte Prozesse den Mitarbeitenden die Arbeit erleichtern und repetitive Aufgaben automatisieren, könnte ein weiterer Einsatz für KI auf der Verkaufsfläche entstehen. Computer Vision (maschinelles Sehen) untersucht dort durch intelligente Kameratechnik die Laufwege der Kunden. So werden die Effizienz der Verkaufsfläche errechnet, das individuelle Kaufverhalten analysiert und sogar Diebstähle erkannt.
Zudem können KI-Programme Kundenbedürfnisse erkennen und individuell darauf eingehen. Ähnlich wie bei der Datenanalyse der Onlineshops lässt sich auch im stationären Einzelhandel das Kaufverhalten von Kunden analysieren, um so personalisierte Empfehlungen auszusprechen, was die Kundenzufriedenheit und die Umsätze steigert.
Smart Shelf – mit Sensoren und Kameras ausgestattete Regale – erfassen mit KI in Echtzeit den Bestand und Kundeninteraktion. So kann KI durch automatisierte Bestandsmeldungen auch Out-of-stock-Situationen verhindern. Droht der Ausverkauf eines Produktes, wird rechtzeitig Alarm geschlagen. Auch wenn Produkte ungünstig im Regal platziert sind, läutet das KI-System die Alarmglocke.
Viel nicht realisiertes Potenzial
Doch all diesen Chancen und Potenzialen steht noch ein Hindernis im Weg. Schon in der Studie „Perspektiven der künstlichen Intelligenz für den Einzelhandel in Deutschland“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie meldeten die befragten IT-Experten Skepsis an. Sie berichten, dass die unternehmensinterne Expertise für KI-Technologien bei einem Großteil der Kunden aus dem Einzelhandel noch gering ist. Viele Unternehmen hätten sich noch nicht im Detail mit den Potentialen und Risiken verschiedener Technologien beschäftigt, weshalb die Erwartungshaltung der Handelsunternehmen an den Einsatz KI-basierter Technologien oft nicht der Realität entspricht.
Diese Einschätzung hat sich drei Jahre später gemäß der aktuellen HDE-Studie „Künstliche Intelligenz im Handel – Umfrage zum KI-Einsatz in 2023“ verändert. Immerhin bekennen sich bereits 23 Prozent der befragten Einzelhändler zu einem KI-Einsatz – wenn auch mit Einschränkungen. Allerdings planen mehr als zwei Drittel der Handesunternehmen (noch) keine KI-Anwendung. Der Grund: „KI wird meist in größeren Unternehmen eingeplant oder eingesetzt, was auf die erforderlichen finanziellen Mittel und Ressourcen zurückgeführt werden kann“, stellen die Studienautoren fest.
Wie sich KI im Handel durchsetzt
Mehr Verständnis für KI: Handelsunternehmen erkennen das Potenzial der Künstlichen Intelligenz und sehen es als sinnvolles Investitionsfeld. Der Trend geht eindeutig in Richtung KI-Einsatz. KI wird meist in größeren Unternehmen eingeplant oder eingesetzt, was auf die benötigten finanziellen Mittel und Ressourcen zurückgeführt werden kann. Zudem setzen Handelsunternehmen KI vor allem als Stand-Alone-Lösung ein – nicht als Teil einer umfassenden Strategie.
Steigende Bedeutung von KI-Projekten: Eine größere Zahl von Anwendungsfällen sowie die größere Verfügbarkeit von Tools und Technologien könnten Gründe sein, die die Durchführung von KI-Projekten im Handel erleichtern. Die Fortschritte in den Bereichen Machine Learning, Computer Vision und Natural Language Processing haben es Unternehmen ermöglicht, ihre KI-Projekte effizienter und effektiver umzusetzen.
Schutz vor Hackerattacken: Wegen der großen Mengen an Kundendaten ist der Handel für Cybersicherheit sehr sensibilisiert. KI-basierte Sicherheitslösungen helfen, Angriffe in Echtzeit zu erkennen, darauf zu reagieren und Unternehmenssysteme und -daten zu schützen.
Praktischer Einsatz: Handelsunternehmen setzen KI bereits ein, vor allem in Kamerasystemen zum Diebstahlschutz am POS, der Belegbearbeitung in der Buchhaltung, bei allgemeinen Absatzprognosen, der Prüfung von Lieferantendaten, zur Personalbedarfs- und Personaleinsatzplanung oder in Smart Shelves zu Bestandsüberwachung. Zudem helfen KI Lösungen, den Energieverbrauch zu verringern.