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SCM & Logistik

10 Tipps für die Einführung von Supply Chain-Planungssystemen

Wie transparent ist Ihre Supply Chain? In diesem Artikel geben wir Ihnen zehn wertvolle Tipps zur Einführung eines Supply Chain Planungssystems.

13. November 2023

Prof. Dr. Matthias Lütke Entrup

9 Min. Lesezeit

Container in einem Industriehafen; valantic Smart Industries & Industrie 4.0

Hintergrund: Supply Chain Planungsaufgaben im Überblick

Im Zuge der Digitalisierung stehen den Unternehmen immer leistungsfähigere IT-Tools zur Automatisierung des Lieferkettenmanagements zur Verfügung. Durch Supply Chain Management (SCM) Planungssysteme können mithilfe innovativer mathematischer und statistischer Verfahren Entscheidungen auf strategischer, taktischer und operativer Ebene automatisiert und Prozesse optimiert werden. Abbildung 1 gibt einen praktischen Überblick über Planungsaufgaben, die durch Softwaremodule abgedeckt werden.

Planungsaufgaben im Supply Chain Management
Abbildung 1: Planungsaufgaben im Supply Chain Management

Ebenen des Supply Chain Management Planungssystems

Das Framework unterscheidet Softwaremodule anhand der Dimensionen Planungshorizont und SC-Prozess voneinander. Auf der strategischen Ebene werden langfristige Entscheidungen über die Konfiguration der Lieferkette getroffen. Hier werden u.a. Produktions- und Lagerstandorte festgelegt. Auf der findet eine Synchronisierung von Absatzplanung und mittelfristiger Produktionsplanung statt. Die Bestandsplanung wird ebenfalls auf dieser Ebene durchgeführt. Innerhalb der operativen Planung werden die mittelfristigen Planungen in konkrete Produktions- und Distributionspläne heruntergebrochen.

Supplier Relationship Management und Order Management Module dienen als Schnittstellen zu Lieferanten und Kunden und stellen eine integrierte Planung entlang der gesamten Supply Chain sicher. Zusätzlich sorgen Risk Management Module dafür, dass Risiken in der Lieferkette identifiziert, bewertet und kontrolliert werden können. Letztendlich nehmen Softwarelösungen im Bereich Supply Chain Visibility und Business Analytics einen immer größeren Stellenwert ein. Im Kern schaffen diese Module mehr Transparenz in der Lieferkette und visualisieren auf Basis der aggregierten Daten aus den genannten Softwaremodulen die Leistung der gesamten Supply Chain anhand von ausgewählten Kennzahlen und dienen somit als Entscheidungsgrundlage für den SCM-Leiter.

Aufgrund der Komplexität dieser Tools ist die Einführung einer SCM-Planungssoftware allerdings nicht trivial. Wir haben daher 10 Praktiker-Tipps zusammengestellt, um ein Supply Chain-Planungssystem zielgenau auszuwählen und einzuführen.

1. Anforderungen an das Supply Chain Planungssystem umfassend und präzise aufnehmen

Die Funktionen einzelner Softwaremodule sind vielfältig. Für Unternehmen ist es daher wichtig, Funktionen festzulegen, die den unternehmensspezifischen Herausforderungen gerecht werden. Generell gilt: Je konkreter die Anforderungen beschrieben werden, desto leichter lässt sich der geeignete Anbieter für die neue Software finden. Im Lastenheft werden Anforderungen an das System, Zielsetzungen und Aufgaben dokumentiert. Es dient als Grundlage für die Auswahl eines IT-Dienstleisters. Die Dokumentation der Anforderungen ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Einführung neuer SCM-Software, da alle nachfolgenden Schritte davon abhängen. Im Lastenheft werden die technischen Rahmenbedingungen für den Auftragnehmer dargelegt:

  • Mengengerüst
  • Anzahl Nutzer, technische Schnittstellen (bspw. zu ERP-Anwendungen)
  • Vorgaben für Anwendungssicherheit etc.

Das Lastenheft sollte aber auch potenzielle Erweiterungen abdecken und einen Zeitrahmen für das Softwareprojekt beinhalten. Außerdem ist das Lastenheft hilfreich zur Bestimmung eines Kostenrahmens und bildet die Basis für Vertragsverhandlungen mit Softwareanbietern. Die Anforderungen an die Softwareanbieter können nach dem MUSCOW-Prinzip klassifiziert werden. Dabei werden „Must-Have“-Kriterien, „Should“-, „Could“- und „Would“-Anforderungen für die entsprechenden Softwaremodule bestimmt. Später überführt das Softwareunternehmen die Anforderungen in ein Pflichtenheft und macht Vorschläge für die Umsetzung des Projekts.

2. Alle möglichen Module in die Ausschreibung aufnehmen und für jedes einen Business Case rechnen

Von der Dokumentation der Anforderungen bis zur Einführung des Systems kann viel Zeit verstreichen. Daher ist es bei der Ausschreibung von Softwaresystemen von Vorteil, vorausschauend zu agieren. Die Entwicklung einer Roadmap kann Unternehmen dabei helfen, die Digitalisierung ihrer SCM-Organisation gezielt voranzutreiben und Analytics-Anwendungen aufeinander aufzubauen. Darüber hinaus kann eine Roadmap dabei helfen, zukünftige Transformationsprojekte zu antizipieren. So können in die Ausschreibung nicht nur die Anforderungen der aktuellen Prozesse, sondern auch erwartbare Herausforderungen aus anderen Bereichen aufgenommen werden. Dadurch erfahren Unternehmen inwieweit sich die Software auf andere Teilbereiche skalieren lässt und mögliche Schnittstellenprobleme können im Voraus erkannt werden. Nichtsdestotrotz sollte jedes Modul auf den Prüfstand gestellt und für jedes Projekt ein Business Case berechnet werden.

3. Mehr als nur Supply Chain Management: Multi-funktional arbeiten

Bei der Ausarbeitung der Ausschreibungsunterlagen ist es unabdingbar die Expertisen und Wünsche aller relevanten Abteilungen mit einfließen zu lassen. Bei der Besetzung der Projektteams gilt es daher neben Mitarbeitern aus IT und SCM, auch Personal aus anderen Abteilungen wie Einkauf, Controlling und Vertrieb an einen Tisch zu setzen. Durch interdisziplinäre Teams lässt sich von Anfang an eindimensionales Silodenken vermeiden. Die Nutzer sollen die Möglichkeit erhalten, ihre eigenen Vorstellungen und Wünsche einzubringen. Auch bei der Erstellung des Lastenheftes kann es von Vorteil sein, den Nutzern aus den verschiedenen Bereichen die Gelegenheit zum Feedback einzuräumen. So kann jeder Fachbereich das Projekt durch seine Sichtweise und Fachwissen bereichern. Allerdings ist zu bedenken, dass Mitarbeiter aus den Fachbereichen keinen Überblick über das Gesamtprojekt haben können. Entscheidend ist, dass das Unternehmen vor dem Transformationsprojekt die wesentlichen Gründe für die Einführung einer neuen Planungssoftware transparent macht, um Akzeptanz für die Projektdurchführung zu schaffen. Dadurch können Vorbehalte bei der Belegschaft frühzeitig bemerkt und gemindert werden.

4. Supply Chain Planungssystem-Anbieter identifizieren: Strukturierten Ausschreibungsprozess mit breiter Marktrecherche durchführen

Eine große Herausforderung bei der Implementierung von SCM-Software liegt in der Identifizierung geeigneter Anbieter. Hierbei kann zwischen Anbietern von integrierten SCM-Suiten und Best-of-Breed Lösungen unterschieden werden. Bei SCM-Suiten handelt es sich um Komplettlösungen, die nahezu alle Prozesse entlang der Lieferkette abdecken. Best-of-Breed-Lösungen sind dagegen spezialisiert auf bestimmte Herausforderungen. Sie sind günstiger als die Komplettpakete und können den Suiten qualitativ in einzelnen Bereichen überlegen sein. Auch bei bestehenden ERP-Systemen sollten andere Systemanbieter in den Ausschreibungsprozess einbezogen werden. Aufgrund der Vielzahl von Softwareanbietern und -funktionen ist der Auswahlprozess anspruchsvoll. Mithilfe einer Bewertungsmatrix können die verschiedenen Planungssysteme anhand zuvor festgelegter Parameter verglichen werden. Dazu zählen Funktionsbereiche, Datenschutzkonformität, Usability, Systemarchitektur, Systemintegration, Schulung und das Preis- bzw. Lizenzmodell. Zusätzlich sollte abgefragt werden, wie häufig und für welche Industrie ein Softwaremodul bereits implementiert wurde.

5. Lösungen umfassend und mit Echtdaten des Unternehmens vorführen

Immer mehr Softwareunternehmen bieten potenziellen Kunden zeitlich begrenzte Demoversionen an, mit denen Software getestet werden können. Um einen guten Einblick in die Leistungsfähigkeit von Softwaresystemen zu bekommen, ist es hilfreich sich die Systeme mit Echtdaten vorführen zu lassen. Testdaten mit unbekannten Artikeln können dazu führen, dass Systemvorteile nicht erkannt werden. Allerdings gilt es für Interessenten behutsam auf die zweckgebundene Verwendung ihrer Daten durch die IT-Dienstleister zu achten. Dazu sollte die Softwarelösung quantitativ wie qualitativ getestet werden. So kann zum Beispiel die Prognosequalität von Software für Nachfrageprognose mit der Prognosequalität aktueller Methoden verglichen werden.

6. Anbindung des Supply Chain Planungssystems in die aktuelle IT-Infrastruktur klären

Ein erfolgreiches Transformationsprojekt setzt genaue Kenntnisse über eingesetzte Methoden und Tools voraus. Dazu gehört auch die Anbindung von bestehenden Systemen zur neuen Software. Folgende Fragen sollte sich die IT-Abteilung vor der Ausschreibung von Planungssoftware vor Augen führen:

  • Werden vom ERP-Hersteller Lizenzgebühren aufgerufen, wenn Drittsysteme angebunden werden und diese im ERP-System Dokumente erstellen?
  • Sind Softwarelösungen bezüglich ERP-Hersteller flexibel? Welche Schnittstellen sind einzurichten? Wer wartet dieses?
  • Welche spezifische Version einer Software wird benötigt?
  • Sind kundenspezifische Anpassungen notwendig?

7. Kosten für das Supply Chain Planungssystem im Blick halten

Intransparente Kostenmodell sind Teil des Geschäftsmodells einer Reihe von Anbietern. So bieten Softwarehersteller eine immer größere Bandbreite von Lizensierungsmodellen an. Lizenzkosten können beispielsweise für namentlich benannte User („named user“) oder gleichzeitig im System arbeitende User („concurrent user“) anfallen, in beiden Fällen als Einmalkosten und als jährliche Lizensierungskosten. Hinzu kommen Kosten für Cloud-Lösungen, Wartungskosten, Implementierungs- und Beratungskosten, Kosten für Hardware, Schnittstellen, etc. Um eine Vergleichbarkeit der Anbieter sicherzustellen, ist es daher sinnvoll, im Auswahlprozess den Anbietern feste Preisraster vorzugeben.

8. Bei der Vertragsgestaltung von einem Fachanwalt helfen lassen

Neben dem technischen Know-how ist das rechtliche Wissen entscheidend für eine erfolgreiche Vergabe von IT-Leistungen. Insbesondere IT-Projekte, die die Entwicklung von Software beinhalten, bergen zahlreiche Risiken. Bei Softwareverträgen besteht die Gefahr, dass vom Anbieter Vertragsregelungen eingebaut werden, die die Anbieterseite einseitig begünstigen. Dies gilt insbesondere bei vorformulierten Standardverträgen, möglicherweise sogar in englischer Sprache und unter Einbezug eines ausländischen Rechtssystems. Darüber hinaus sind erfahrungsgemäß oftmals Leistungsgegenstände in IT-Verträgen unzureichend definiert. Grundlage hierfür sollte das Pflichtenheft sein, in dem die Pflichten für Auftraggeber und -nehmer so präzise wie möglich beschrieben werden sollten. Weiteres Konfliktpotential liegt in Softwarelizenzen, nachträgliche Änderung von Anforderungen an der Software, veränderte Vergütung des IT-Dienstleisters infolge von Softwareanpassungen, Haftungsausschlüsse oder Weitergabeverbote. Daher empfiehlt es sich, bei der Vertragsgestaltung professionelle Unterstützung durch einen Fachanwalt hinzuzuholen.

9. Ausreichend interne Ressourcen bereitstellen

Die Sicherstellung notwendiger Ressourcen ist für jedes Transformationsprojekt unabdingbar. Um die Unterstützung aller Supply Chain Stakeholder zu gewinnen, ist es wichtig, den Business Case des Transformationsprojekts aufzuzeigen. Dabei sollten der Änderungsbedarf und der Return on Investment (ROI) des Projekts demonstriert werden. Die Stakeholder müssen wissen

  • warum Veränderungen stattfinden
  • wie sich ihre Arbeit verändern wird
  • was von ihnen während und nach dem Transformationsprogramm erwartet wird
  • und welche Vorteile das Projekt bringt

Zusätzlich besteht die Gefahr, dass das Projekt nicht mehr mit der Energie wie zu Beginn verfolgt wird und mit anderen neuen Projekten konkurriert. Unternehmen, die sich nur auf kurzfristige Gewinne konzentrieren, verlieren oft das Gesamtbild aus den Augen und der Erhalt von Ressourcen für das Projekt wird zur Herausforderung. Deshalb müssen während der gesamten Projektdauer, zu der ein engagiertes Transformationsteam gehört, angemessene Ressourcen bereitgestellt werden. Für eine erfolgreiche Implementierung der neuen Software ist es zudem wichtig, den Kenntnisstand der Mitarbeiter über die Möglichkeiten und den Nutzen von Planungstools zu stärken.

10. Erwartungsmanagement betreiben

Nach der Einführung von SCM-Planungssoftware dauert es normalerweise einige Zeit, bis das System die aktuelle Qualität der Planung übertroffen hat oder die Effizienz des Planungsprozesses wie anvisiert gesteigert wurde. Es ist entscheidend, die Begeisterung für das Projekt aufrechtzuerhalten. Letztendlich müssen neue Softwarelösungen von allen Mitarbeitern unterstützt werden. Generell sollte das Projekt kontinuierlich anhand vorher festgelegter Erfolgskennzahlen bewertet werden. Für die Realisierung der Benefits sollte dann ein Zeitraum von ein bis zwei Jahren eingeplant werden.

Fazit

Die Einführung einer neuen SCM-Planungssoftware ist ein herausforderndes Unterfangen und mit zahlreichen Fallstricken verbunden, nicht nur aufgrund der technischen Komplexität, sondern auch aufgrund der erforderlichen Change-Management Prozesse. Eine strukturierte Vorgehensweise stellt hierbei sicher, dass diese Projekte im Zeit- und Kostenrahmen implementiert und der anvisierte Nutzen vollumfassend realisiert werden können.

Verfasst von

Prof. Dr. Matthias Lütke Entrup, Partner bei HÖVELER HOLZMANN – a valantic company

Prof. Dr. Matthias Lütke Entrup

Partner bei HÖVELER HOLZMANN – a valantic company

Prof. Dr. Matthias Lütke Entrup ist als Partner bei HÖVELER HOLZMANN – a valantic company verantwortlich für den Bereich Supply Chain Management und ist Professor für Operations Management an der International School of Management in Dortmund. Seine Promotion erlangte der Diplom-Wirtschaftsingenieur an der TU Berlin mit einem Thema aus der Nahrungsmittelproduktion. Die beruflichen Erfahrungen von Prof. Dr. Lütke Entrup beinhalten Tätigkeiten als Projektleiter bei A.T. Kearney und als Finanzgeschäftsführer der Valensina-Gruppe.