Die Zeiten des oft stundenlangen Feilschens der Einkäufer um Prozentpunkte könnten bald vorbei sein. Einkauf und Lieferanten werden sich mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz schneller einigen – wenn sie wollen.
„Schon bald werden Bots im Einkauf die Zahlungsbedingungen verbessern. Auch potenzielle Risiken innerhalb einer Warengruppe oder bei spezifischen Lieferanten können mit KI frühzeitig identifiziert werden“
Hannah Mareen Zühlke, KPMG
Mit einer neuen Verhandlungsqualität in der Beschaffung wartet der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) auf. Schon bald werden „einfache Bots das Stammdatenmanagement im Einkauf übernehmen, große Datenpakete überprüfen und bei Bedarf Fehler wie etwa Lieferantendubletten korrigieren oder Zahlungsbedingungen verbessern“, sagt Hannah Mareen Zühlke, Senior Managerin bei KPMG. Auch den operativen Bestellprozess kann die KI verbessern, zum Beispiel durch die die Unterstützung des Drei-Wege-Abgleichs von Bestellungen, Lieferscheinen und Rechnungen (siehe Kasten „Der Multiplayer“).
Doch da geht noch weit mehr. „Besonders interessant dürfte die KI dann sein, wenn es um Marktanalysen und das Erstellen von Warengruppenstrategien geht. So können beispielsweise potenzielle Risiken innerhalb einer Warengruppe oder bei spezifischen Lieferanten frühzeitig identifiziert werden“, sagt die KPMG-Expertin. Mit Hilfe von KI halten strategische Einkäufer den Markt ihrer Warengruppe ständig im Blick.
Kostengünstiger Einkauf mit KI
Für ihr ureigenes Metier finden Einkäufer ein breites Angebot von KI-Tools vor. Sie bieten „Potenziale zur Effizienzsteigerung, Kostenreduktion und Risikominderung“, betont Dr. Helena Melnikov, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME).
Besonders wichtig ist für Einkäufer die prädiktive Analyse. KI nimmt historische Daten über Lieferantenleistungen, Preisschwankungen und Nachfrageänderungen unter die Lupe, um anschließend genaue Vorhersagen für zukünftige Entwicklungen zu treffen. Damit können Unternehmen, ihre Einkaufsstrategien verbessern und ihre Lieferkette absichern.
Zudem lassen sich durch KI viele Routineaufgaben im Einkauf wie die Rechnungsprüfung oder die Bestellverwaltung automatisieren. „Die Möglichkeiten von KI enden jedoch nicht bei der Automatisierung. Sie kann auch die Leistung von Lieferanten bewerten, indem sie Daten zu Lieferzeiten, Qualität und Preisen analysiert. Dies hilft dem Einkäufer, Störungen in seiner Lieferkette zu erkennen und frühzeitig zu beheben“, betonte Melnikov.
KI: Markttrends erkennen, Verbraucherwünsche analysieren
KI-Tools im Einkauf analysieren große Datenmengen. Sie erkennen daraus Muster und leiten Prognosen ab. Ob es um die Optimierung von Lieferketten, die Ausarbeitung von Preismodellen oder die Personalisierung von Kundenbeziehungen geht – KI-Tools verändern die Art und Weise, wie Verhandlungen geführt werden. Sie bieten präzise Einblicke in Markttrends, Verbraucherverhalten und sogar die Verhandlungstaktiken des Gegenübers, was zu effektiveren Verhandlungsergebnissen führt.
„Durch die Transformation des Einkaufs in Richtung Wertschöpfung ist es uns gelungen, ein geschätzter Partner für die Wirtschaft zu werden“
Martin Traxl, OMV
Zudem sind Unternehmen mit solchen Analysen besser aufgestellt, um strategische Entscheidungen zu treffen. Durch die erfolgreiche „Transformation des Einkaufs in Richtung Wertschöpfung“ gelang es zum Beispiel dem Einkauf der OMV Group, „ein geschätzter Partner für die Wirtschaft zu werden“, sagt Martin Traxl, Head of Strategy and Digitalization Corporate Procurement des österreichischen Erdöl-, Erdgas- und Petrochemiekonzerns OMV.
Möglich wurde dieser Achtungserfolg laut Traxl vor allem durch den Aufbau einer integrierten und globalen Einkaufsorganisation. Diese Neuausrichtung der Procurement-IT-Landschaft bietet für Kunden und Lieferanten vereinfachte und automatisierte Beschaffungsprozesse.
Trotz dieser weitreichenden Vorteile ziehen allerdings bei weitem nicht alle Unternehmen bei der Anschaffung eines KI-Tools mit. So stellte eine Studie des BME fest, dass sich die Einführung von KI in der Beschaffung der Unternehmen eher schleppend vollzieht.
Komplexer Datenschutz verunsichert Einkäufer
Zwar nimmt sich eine Mehrheit der Beschaffungsverantwortlichen mittelfristig die Nutzung von KI vor. Jedoch überwiegen noch die Vorbehalte gegenüber ihren Einsatz. Nach Ansicht vieler Umfrageteilnehmer ist die Technologie noch nicht ausgereift. Als Hindernisse für die Nutzung von KI-Lösungen erweisen sich für die Befragten vor allem fehlende Expertise und unklare Rechtsicherheit. Für weitere Ungewissheit sorgen die hohe technologische Entwicklungsgeschwindigkeit der KI und die Komplexität der internationalen Datenschutzanforderungen.
Gerade mal ein Fünftel der befragten Unternehmen verwenden KI-Lösungen. Potenzial für KI sehen sie besonders im Bereich der Datenanalyse und der operativen Prozessverbesserung. Beispiele dafür sind die Automatisierung von Einkaufsprozessen oder der Rechnungskontrolle. Durch den Fortschritt der generativen KI erhoffen sich die Unternehmen aber auch neue Anwendungsfelder in den Bereichen Kommunikation und Texterstellung.
Rund die Hälfte der Teilnehmenden erwarten durch KI im Einkauf optimierte Abläufen und Prozessen. An eine verbesserte Transparenz als Ziel des KI-Einsatzes glaubt ein Drittel der Befragten. Weitere Wünsche an die KI sind die Verbesserung von Datenqualität, Risikomanagement, Kostenoptimierung durch bessere Verhandlungen, Vertragsgestaltung und eine bessere Vergleichbarkeit der Angebote.
Allerdings bewerten die Unternehmen die KI derzeit eher als eine Ergänzung zur bestehenden Organisation. Gerade mal ein Prozent setzt auf Personaleinsparungen. Obendrein bescheinigen die Befragten der BME-Studie den heutigen KI-Lösungen lediglich einen mittleren Reifegrad. Die Mehrheit ist der Ansicht, dass sich gerade die generative KI erst noch weiterentwickeln und in der Praxis als zuverlässig und nutzwertig erweisen muss.
Schleppender KI-Einsatz – leider
Solche Einwände führen zu Verzögerungen. „Die Digitalisierung im Einkauf schreitet voran, aber es bleibt noch viel Luft nach oben“, zieht Dr. Florian C. Kleemann Bilanz. Der Professor für Supply Chain Management an der Hochschule München hält besonders die Anwendung von E-Tools für ausbaufähig.
Tatsächlich werden elektronische Lösungen etwa zur Optimierung des Qualitäts- und Lieferantenmanagements im Einkauf nach Kleemanns Ansicht noch kaum oder gar nicht genutzt. Dies könne aber nicht an der fehlenden Auswahl der Werkzeuge liegen. Denn die Tool-Landschaft werde immer vielfältiger. Die Gründe, warum es an der Umsetzung mangle, habe „relativ wenig mit der Technologie zu tun, eher mit der Einkaufsorganisation“. Das ist laut Kleemann der entscheidende Punkt.
Sicherlich sind elektronische Kataloge im Bereich von Standardbestellungen wie Büromaterialien bei den Einkäufern längst anerkannt. Ganz anders sieht es aus, wenn es um hochwertige, unverzichtbare Rohstoffe oder Bauteile für die Produktion geht. Hier ist das persönliche Gespräch und das zähe Ringen beim Verhandeln bei den Kontrahenten seit jeher hoch geschätzt. Ob die Verantwortlichen für die Beschaffung auf diese liebgewonnene Gewohnheit verzichten und einem KI- Beistand den Vorzug geben wollen, wird einige Veränderungen erfordern.
Kurzportrait: der KI-Multiplayer
Wie Künstliche Intelligenz (KI) den industriellen Einkauf verbessert
Routineaufgaben: Sich wiederholende und zeitaufwändige Aufgaben lassen sich im Einkauf durch KI automatisieren, wie etwa Rechnungsprüfung, Bestellverwaltung oder Stammdatenmanagement. Dies entlastet die Einkaufsteams, die sich auf strategisch wichtigere Aufgaben konzentrieren können.
Forecasting: Durch Analyse großer Datenmengen zu Bestellungen, Lieferungen und Markttrends ermöglicht KI genaue Prognosen zur zukünftigen Nachfrage. Dies verbessert die Beschaffungsplanung und Bestandssteuerung.
Lieferantenbewertung: Daten wie Lieferzeiten, Qualität und Preise lassen sich durch KI analysieren, um die Leistung von Lieferanten zu bewerten und Lieferengpässe so früh wie möglich zu erkennen und zu beheben.
Verhandlungen: Marktanalysen durch KI unterstützen Einkäufer in Verhandlungen dabei, die besten Preise zu erzielen.
Compliance-Prüfung: Durch automatisierte Compliance-Checks senkt KI in großen Unternehmen das Risiko von Regelverstößen im Einkauf.
Lieferketten: Mit der Verknüpfung aller verfügbaren Datenquellen in einer zentralen Plattform bietet KI eine aktuelle Übersicht in Echtzeit über den gesamten Lieferkettenprozess. Auf diese Weise lassen sich Probleme schnell ausfindig machen und beseitigen.
(Quelle: ProcureAi GmbH, eigene Recherchen)