Industrieroboter haben in den letzten Jahrzehnten die Welt der physischen Arbeit rationalisiert. Viele Berufe sind weggefallen, werden nicht mehr benötigt. Jetzt geht es auch den hochqualifizierten Wissensarbeitern, den kreativen Grafikern, Journalisten, Textern und smarten Software-Entwicklern an den Kragen, so scheint es. Large Language Models (LLM) wie ChatGPT erledigen die gleiche Arbeit, schneller, besser effizienter.
In einem gemeinsam mit Accenture veröffentlichten Bericht des Weltwirtschaftsforums wurden 19.000 Aufgaben in fast 900 Berufen daraufhin untersucht, inwieweit sie durch Artifcial Intelligence beeinflusst werden könnten. Die Ergebnisse fielen ziemlich eindeutig aus. Berufe mit einem hohen Maß an persönlicher Interaktion, individueller Kundenbetreuung und agilen, wechselnden physischen Aufgaben werden am wenigsten von KI beeinflusst.
Das sind die AI-Gewinner und AI-Verlierer
Die Nachfrage nach diesen Arbeitskräften wird voraussichtlich sogar noch steigen. Dazu zählen zum Beispiel Friseure, Kinderbetreuer, Feuerwehrmänner, Hausmeister, Gärtner, Pfleger, Krankenschwestern und Altenbetreuer. Sie gehören zu den Gewinnern der KI-Revolution. Andere Berufsbilder tragen ein weitaus höheres Risiko, in nächster Zukunft wegzufallen. Das Pew Research Center zählt zu den Jobs mit dem höchsten Risiko unter anderem Buchhalter, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Informatik-Ingenieure, Kreditprüfer, juristische Assistenten und Lektoren. (Zur ausführlichen Auflistung des Pew Research Center in Berufe mit niedrigen, mittleren und hohen KI-Risiko geht es hier.)
Das renommierte Branchenportal ingenieur.de zitiert einen von Zety veröffentlichten Bericht, einem Anbieter von Karriere- und Lebenslaufservices. Die Studie stützt sich auf eine Umfrage unter 1.150 Personen und bestätigt eine hohe Akzeptanz von KI am Arbeitsplatz. Demnach nutzen 71 Prozent der Teilnehmer KI beruflich, um ihre Arbeit besser und effizienter erledigen zu können. 95 Prozent gaben an, zurzeit an Schulungen teilzunehmen oder andere Maßnahmen zu ergreifen, um ihre KI-Fähigkeiten zu verbessern.
Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes berechtigt
Die Umfrage von Zety zeigt aber auch, dass die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes durchaus berechtigt ist. Von den 89 Prozent der Studienteilnehmer, die sich um ihren Arbeitsplatz sorgen, haben etwa ein Viertel dieses Szenario bereits erlebt. „Der Gedanke, seinen Job zu verlieren, weil Unternehmen KI in ihre täglichen Aktivitäten integrieren, ist ein regelmäßiges Diskussionsthema und eine wachsende Sorge unter den Arbeitnehmern“, sagt Dominika Kowalska, Karriereexpertin bei Zety. „Das Aufkommen von KI ist noch eine relativ neue Entwicklung, und es ist alarmierend, dass so viele Teilnehmer der Umfrage bereits das schlimmste Szenario erlebt haben, wenn es um KI geht – durch Technologie ersetzt zu werden und sich einen neuen Job suchen zu müssen“.
Die Umfrageergebnisse zeigen außerdem, dass jüngere Arbeitnehmer, besonders in Einstiegspositionen, am meisten von einem KI-bedingten Arbeitsplatzverlust betroffen sind.
Was denken die Deutschen?
Die große Mehrheit der Deutschen erwartet, dass Künstliche Intelligenz zahlreiche Berufe in den kommenden Jahren verändern wird. So gehen 62 Prozent davon aus, dass sich die Tätigkeiten im Finanzwesen, etwa in Banken, Versicherungen oder an der Börse, verändern werden. Knapp dahinter folgen IT-Berufe und die Softwareentwicklung (60 Prozent). Auf Platz drei liegen mit jeweils 56 Prozent gleichauf die Fertigung und Produktion sowie der Einzelhandel, meldet der Digitalverband Bitkom und beruft sich auf eine eigene, Anfang des Jahres unter 1004 Personen durchgeführte Telefonumfrage.
„Jede und jeder sollte sich jetzt schon mit KI vertraut machen und sich entsprechend weiterbilden“
Dr. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer Bitkom
„Die Fortschritte im Bereich der generativen KI waren in den vergangenen Monaten rasant. Künstliche Intelligenz entwickelt sich zu einem starken Werkzeug in den meisten Berufen, vergleichbar mit der Einführung des Computers in der Arbeitswelt – nur in ungleich höherem Tempo“, schätzt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder die Situation ein und empfiehlt: „Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird in vielen Berufen große Bedeutung haben. Jede und jeder sollte sich jetzt schon mit KI vertraut machen und sich entsprechend weiterbilden“.
Lehrer, Musiker, Grafiker und HR müssen sich verändern
Auch im Bildungswesen rechnet laut Bitkom eine Mehrheit der Deutschen mit Veränderungen (55 Prozent), also zum Beispiel für Lehrerinnen und Lehrer, Professorinnen und Professoren. Gleiches gilt in der Kreativwirtschaft (54 Prozent), also zum Beispiel in der Musik, der Fotografie, dem Grafikdesign oder in der Literatur, sowie im Bereich von Medien und Kommunikation (52 Prozent). Knapp die Hälfte (48 Prozent) erwarten Veränderungen im Personalwesen durch KI. Im Gesundheitswesen rechnen 39 Prozent mit Veränderungen, bei der Polizei sind es ebenfalls 39 Prozent und beim Militär 34 Prozent. Am Ende der Liste rangiert das Rechtswesen (30 Prozent), etwa bei Anwältinnen und Anwälten, die sich relativ sicher fühlen können..
Spielen wir jetzt alle, getrieben durch GenAI und KI, notgedrungen russisches Roulette? Angefacht durch den Megahype um generative künstliche Intelligenz war vielleicht auch die Angst vor dem Verlust des eigenen Arbeitsplatzes „overhyped“. Eine von der Boston Consulting Group durchgeführte Untersuchung kommt zu einem differenzierteren Ergebnis.
GPT-4: keine Wunderwaffe für alles
Die BCG machte die Probe aufs Exempel und hat ein Experiment mit zwei Benutzergruppen durchgeführt. Eine Gruppe durfte zur Bewältigung bestimmter Aufgaben GPT-4 von OpenAI einsetzen, die zweite Kontrollgruppe nicht. Die Ergebnisse fielen erstaunlich aus.
Beim Einsatz generativer KI für kreative Produktinnovation, einer Aufgabe, die Ideenfindung und Inhaltserstellung umfasst, verbesserten rund 90 Prozent der Teilnehmer mit GPT-4 ihre Leistung. Mehr noch, sie erreichten ein Leistungsniveau, das um 40 Prozent höher lag als dasjenige der Kontrollgruppe ohne GPT-4.
Geschäftsprobleme: schlechtere Ergebnisse mit GPT-4
Ganz anders fielen die Resultate aus, als die Teilnehmer GTP-4 zur Lösung konkreter Geschäftsproblemen einsetzten. In diesem Szenario schnitten 23 Prozent sogar schlechter ab als diejenigen, die die Aufgabe ohne GPT-4 lösten. Und selbst Teilnehmer, die vor der Möglichkeit falscher Antworten durch GPT-4 gewarnt wurden, stellten dessen Ergebnisse nicht in Frage.
Die BCG kommt zu dem Ergebnis: Werden GenAI-Werkzeuge wie GPT-4 für eine Aufgabe eingesetzt, die innerhalb der aktuellen Kompetenzgrenze des Tools liegt, verbesserten fast alle Teilnehmer ihre Leistung. Diejenigen, die GPT-4 für eine Aufgabe außerhalb dieser Grenze verwendeten, müssen jedoch mit teilweise deutlich schlechteren Ergebnissen rechnen.
Der Schlüssel zur erfolgreichen Integration von KI in die Arbeitswelt liegt wohl darin, menschliche Arbeit nicht zu ersetzen, sondern sinnvoll und mit pragmatisch-strategischem Weitblick zu erweitern und zu ergänzen. Dabei ist in den Unternehmen langfristig vor allem ein kluges Personalmanagement und ein strategisches „Workforce Planning“ gefragt.