4. Februar 2020
Heute dürfen wir Herrn Jurkowski begrüßen. Herr Jurkowski ist Principal Digital Strategy bei der Lenze Group und Experte im Bereich E-Commerce und PIM (Product-Information-Management).
Kahler: Herr Jurkowski, Sie sind seit vielen Jahren in der „PIM-Branche“ tätig, haben viele Projekte durchlebt und viele PIM-Lösungen kennengelernt. Wie haben sich aus Ihrer Sicht die PIM-Systeme in den letzten 20 Jahren entwickelt? Was hat sich verändert?
Jurkowski: Als ich vor knapp 20 Jahren meine erste Preislisten-Produktion für einen Elektrowerkzeug-Hersteller mittels „Access“ und „FrameMaker“ automatisiert habe, war der Markt noch recht überschaubar.
Wenn sich Unternehmen mit solchen Lösungen beschäftigt haben, waren es meist einzelne Abteilungen wie das Marketing oder die IT. In der Regel ging es darum, Print-Kataloge zu automatisieren oder Einkaufsportale mit Daten zu versorgen.
Im Nachhinein sind in der Zeit wahrscheinlich mehr Projekte gescheitert, als erfolgreich umgesetzt worden. Gerade in den Print-Projekten, wo man oft eine Automatisierung von über 90% versprochen hat, konnten die Ziele nur mit kaum vertretbaren Aufwänden erreicht werden.
Prozessoptimierung oder abteilungsübergreifendes Arbeiten waren noch Fremdwörter. Ganz im Gegenteil, es war auch nicht untypisch, dass der Marketingleiter ohne die IT ein PIM-System eingeführt hat.
Heute ist PIM kein Nischen-Thema mehr und jedes Unternehmen weiß, dass man Produktdaten abteilungsübergreifend generiert und benötigt. Trotz der am Markt gängigen Phrasen wie „Daten sind das neue Gold“, ist es oft immer noch so, dass nur wenige Mitarbeiter für das Pflegen von Produktdaten verantwortlich sind.
Die neuen Use Cases die uns suggeriert werden, benötigen aber noch mehr Daten und noch mehr Vernetzungen zwischen Produkten. Mit dem Ansatz nur das Nötigste an Daten bereitzustellen, wird man in der Produktkommunikation keine neuen innovativen Lösungen anbieten können.
Von der Systemseite her, hat sich aus meiner Sicht der Markt auf eine Hand voll Systeme konsolidiert, wovon es den ein oder anderen auch schon vor 20 Jahren gab. Funktional muss sich bei dem Thema Integration der Lösung mehr tun. Hier sind nicht alle Systeme auf dem aktuellen Stand der Möglichkeiten.
In Zukunft wird es eine große Rolle spielen, dass man Produktdaten in direkte Verbindung mit seinen Kundendaten bringt und noch mehr Metainformationen zu den Daten hinzufügt. Es muss eine intelligente Vernetzung der Daten stattfinden. Nur so wird es möglich sein, die Daten möglichst automatisch und in dem jeweils richtigen Kontext, seinem Kunden oder potentiellen Kunden auf dem Device seiner Wahl bereitzustellen.
Kahler: Sie sagen, dass „wahrscheinlich mehr Projekte gescheitert, als erfolgreich umgesetzt wurden“. Woran lag das Ihrer Meinung nach? War die Software nicht gut genug? Sind im Projektmanagement Fehler gemacht worden? Oder waren andere Fehleinschätzungen die Ursache?
Jurkowski: Aus meiner Sicht gab es zwei wesentliche Punkte, die in der Vergangenheit Projekte zum Scheitern gebracht haben.
Dem Kunden wurde suggeriert, dass die Projekte einfach sind und er seine Medien zu 100% automatisieren könnte – das wurde, wenn überhaupt nur mit sehr hohem Aufwand erreicht oder die eingesetzte Software-Lösung war gar nicht dafür geeignet.
Das Unternehmen hatte die notwendigen Produktdaten nicht zur Verfügung und verfügte auch nicht über die notwendigen Prozesse in den betroffenen Abteilungen. Dies führte auf Kundenseite zu erheblichen Aufwänden, die man oft nicht eingeplant hat.
Im Projektmanagement wurden sicherlich auch Fehler gemacht oder man ist von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Das sind aber keine Probleme der Vergangenheit, diese kann es heute unabhängig von der eingesetzten Projektmanagementmethode immer noch geben.
Kahler: Richten wir aber nochmal den Blick auf die PIM-Systeme. In welchen Bereichen haben sich die Systeme maßgeblich weiterentwickelt. Und welche Themen hatte man „früher“ nicht auf der Agenda?
Jurkowski: Ich denke im Bereich der Integration in eine bestehende Systemlandschaft sind die meisten Systeme deutlich besser geworden. In der Vergangenheit hat man sich mit dem Thema Schnittstellen zu Umsystemen und dem Datenaustausch mit Dritten schwerer getan. Gleichzeitig sehe ich hier aber bei vielen immer noch ein großes Verbesserungspotential. Wenn man im gehobenen Mittelstand und in Großunternehmen erfolgreich Projekte umsetzen möchte, ist es zwingend notwendig über standardisierte Schnittstellen, Services und Daten in nahezu Echtzeit austauschen zu können.
Im Bereich der Workflows, Aufgabenorganisation und dem Messen der Produktdatenqualität gibt es deutliche Fortschritte. Innerhalb der Systeme können Workflows, Aufgaben und die Datenpflege sowie -freigabe über mehrere Abteilungen hinaus gut gemanagt werden. In der Regel verfügen die Systeme auch über ein Reporting, über das sich die Datenqualität messen lässt.
Was man früher nicht auf der Agenda hatte, sind Open-Source-Lösungen. Wenn man sich heute mit PIM beschäftigt und ein System sucht, wird man zwangsläufig auf mindestens drei Anbieter stoßen, die den Open-Source Ansatz verfolgen und mit denen man erfolgreich Projekte umsetzen kann.
Das Thema für die Zukunft wird natürlich Cloud sein. Wie geht man mit einer IT Enterprise Landschaft des Kunden um, die immer mehr in die Cloud geht und wie viel Potential steckt in einem PIM in der Cloud? Wie kann ein Zusammenspiel zwischen Produktinformationen und Kundendaten in Echtzeit aussehen? Wie lassen sich die Produkte zur Laufzeit mit neuen Daten anreichern und intelligent an den richtigen Abnehmer senden?
Ich finde das sind alles spannende Fragestellung die aus dem vermeintlich langweiligen Thema PIM als Produktdatenverwaltung ein Spielplatz machen, auf dem man anfängt mit den Asset Produktdaten kreativ umzugehen.
Kahler: Letzte Frage: Wie beurteilen Sie den Einfluss von „KI“ speziell bei PIM-Systemen. Können die Systeme maßgeblich von dieser vermeintlich neuen Technik profitieren?
Jurkowski: Der Mega-Trend „KI“ wird sicherlich auch die PIM-Systeme auf eine gewisse Weise beeinflussen. Wie das mit Mega-Trends so ist, wird viel darüber geschrieben und diskutiert aber am Ende dauert es oft noch Jahre, bis die Themen auch eine wirkliche Relevanz für das operative Geschäft eines Unternehmens haben. Mit „KI“ sehe ich das genauso. Es ist ja ein Trugschluss, dass allein die Begriffe „künstlich“ und „Intelligenz“ uns wie von Wunderhand die Arbeit abnehmen, viel mehr muss man den Systemen Daten zur Verfügung stellen, sie anlernen und eine Vorstellung davon haben, wobei sie eigentlich helfen sollen.
Ein PIM-System wird für solche Anwendungen natürlich eine wichtige Datenquelle sein. Inwiefern „KI“ innerhalb eines PIM-System unterstützen kann, ist schwer zu sagen. Im Bereich der eigentlichen Stammdatenpflege, also welche Texte, Merkmale und Medien zu einem Produkt gehören kann ich es mir momentan nicht richtig vorstellen. Ich sehe die Möglichkeiten von „KI“ eher im Bereich des Aufbaus von Beziehungswissen, des Produktportfolio-Managements und dem Verbessern der Datenqualität.
KI lebt davon, dass es möglichst viele auswertbare Beziehungen zwischen Objekten gibt und wir wissen aus der Praxis, dass das Pflegen von Beziehungswissen extrem aufwendig ist. Ein Beispiel dafür ist die TecDoc-Datenstruktur für den Automotive Aftermarket. Diese ist heute schon sehr komplex und die Anbieter in diesem Markt würden sich sicherlich freuen, wenn die Pflege der Daten weniger aufwendig ist und man die Qualität der Daten besser prüfen könnte.
Ich bin gespannt wann die ersten PIM-Hersteller mit geeigneten Lösungen auf den Markt kommen und wann ihre Kunden solche Lösungen auch nutzen-bringend einsetzen können.
Zurzeit sieht es mir so aus als ob 95 % aller Unternehmen im DACH Markt noch genügend mit den Grundlagen der „Digitalisierung“ zu kämpfen haben und somit die bloße Einführung eines PIM-Systems schon eine Herausforderung darstellt. Von daher wird „KI“ für viele auch erst mal ein Trendthema bleiben.
Kahler: Vielen Dank für das Interview.
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