19. August 2019
Heute dürfen wir Herrn Thomas Vierhaus im EXPERT_TALK begrüßen. Herr Vierhaus ist Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des VTH Verband Technischer Handel e.V. und steht uns zum Interview zur Verfügung.
Kahler: Herr Vierhaus, Sie sind Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des VTH Verband Technischer Handel e.V.. Ihre Mitglieder sind oft traditionsreiche Technische Händler. Wie hoch ist die „Hürde der Digitalisierung“ für Ihre Mitglieder?
Vierhaus: Die Technischen Händler wissen, dass die „Digitale Transformation“ für ihren weiteren geschäftlichen Erfolg unverzichtbar ist. Als besonders große Hürde empfinden sie dabei die Integration vieler verschiedener Systeme und Daten. Eine weitere große Herausforderung ist die durchgängige Digitalisierung von Abläufen im kaufmännischen Bereich, aber auch in der Logistik und in der Fertigung, um den Wertschöpfungsprozess des eigenen Unternehmens zu verbessern. Man darf in diesem Kontext natürlich nicht vergessen, dass die Digitalisierungsprojekte zusätzlich zu den bestehenden Aufgaben erledigt werden müssen – und das in einem immer härter werdenden Wettbewerbsumfeld.
Kahler: Wie wichtige sehen Sie das Thema Produkt-Daten-Management im Technischen Handel? Und wie sind, Ihrer Meinung die Händler hier aufgestellt.
Vierhaus: Produktdaten und der effiziente Umgang damit haben für fast alle Technischen Händler eine sehr große Bedeutung. Konsistente und gepflegte Stammdaten werden immer klarer als Grundvoraussetzung für moderne Geschäftsprozesse und -modelle gesehen. Viele der größeren Unternehmen setzen bereits spezielle IT-Systeme zur Unterstützung ihres Produktdatenmanagements ein. Bei den kleineren Betrieben sehe ich hier noch Nachholbedarf. Mit dem VTH-eData-Pool versuchen wir flankierend, unsere Mitglieder bei der Handhabung der Produktdaten zu unterstützen. Weiteren Nachholbedarf sehe ich bei der durchgängigen Definition der Prozesse und der Verknüpfungen im Umgang mit den Daten, also bei der Anwendung von Data Governance. Aktuell sind hier erst relativ wenige Technische Händler gut aufgestellt.
Kahler: Gute Daten sind also für den Technischen Handel essentiell. Dies ist ja auch Grundlage für alle eCommerce Kanäle. Wie sehen Sie daher die Chance für den Technischen Handel sich gegen „Global Player“ wie z.B. „Amazon“ durchzusetzen bzw. wettbewerbsfähig zu sein.
Vierhaus: Die Strategie der „Global Player“ ist es, Abermillionen von Kunden den bequemen Zugang zu Abermillionen von Produkten zu ermöglichen. Das kann nicht die Vorgehensweise eines spezialisierten Fachhändlers sein. Er orientiert sich bei der Zusammenstellung seines Warensortiments vielmehr an den Wünschen und Bedürfnissen seiner Kundschaft, die jederzeit darauf vertrauen kann, dass die angebotenen Produkte den Stand der Technik widerspiegeln. Und während Amazon, Alibaba & Co. für den Vertrieb ausschließlich den Onlinekanal nutzen können, kann sich der Technische Händler als Multichannel-Spezialist etablieren, indem er Online- und Offline-Handel klug kombiniert. Damit erreicht er eine wesentlich größere Nähe zu den Kunden. Diese Nähe ist notwendig, wenn der Konstrukteur außer einer Idee keine Vorstellung vom gewünschten Produkt hat oder der Instandhaltungsleiter die Ursache seines Problems gar nicht kennt. Dann sind individuelle Lösungen aus der eigenen Produktion, dann ist die Expertise eines Fachberaters und dann ist die Flexibilität eines Mittelständlers gefragt.
Kahler: Das ist also eine Frage der Strategie. Der Technische Händler als Multichannel Spezialist. Ich denke, dass hier hohe IT Investitionen und der Aufbau von Expertise notwendig ist. Wie gehen die Händler damit um?
Vierhaus: Es ist tatsächlich notwendig, sowohl im IT- als auch im HR- Bereich zu investieren. Das zweite ist jedoch leichter gesagt als getan. Der Markt für gute IT-Spezialisten ist leer gefegt und die Gehaltsvorstellungen sprengen nicht selten den Budgetrahmen der Kleinbetriebe. Deshalb wird hier gerne auf Eigengewächse zurückgegriffen, die eine Ausbildung als IT-System-Kaufleute oder Kaufleute im E-Commerce abgeschlossen haben und mit den betrieblichen Abläufen vertraut sind. Aus unserer Jahresumfrage wissen wir, dass bei den Investitionen die Ausgaben für die IT-Infrastruktur und die Systemsoftware im Technischen Handel deutlich an erster Stelle stehen. Im Fokus sind hier die ständige Erweiterung der Serverinfrastruktur, die Datensicherheit, die Programmierung von Schnittstellen, die Anbindung an Plattformen, die Produktdaten-Kommunikation sowie im Bereich der Software die Neuanschaffung von modernen CRM-, ERP- und PIM-Systemen. Bei der Vielzahl von angebotenen Lösungen empfehlen wir den Technischen Händlern, spezialisierte Beratungsunternehmen einzuschalten und sich im Kollegenkreis umzuhören.
Kahler: Abschließend würde ich Sie gerne noch um einen Blick in die Zukunft bitten. Wie sehen Sie die Perspektiven der Technischen Händler? Lohnt es sich, den steinigen Weg zu gehen? Ist die Digitalisierung eine Chance oder mehr der Anfang vom Ende?
Vierhaus: Der Technische Handel hat aufgrund seines spezialisierten Sortiments, seiner Expertise und seiner Servicebereitschaft gute Chancen, seinen angestammten Platz in der Wertschöpfungskette zu verteidigen. Doch ihm wird mit Sicherheit nichts geschenkt. Das Vertrauen der Kunden zu gewinnen und jeden Tag zu rechtfertigen, ist sehr anstrengend. Im Moment sehen viele Beobachter die Marktplätze wie Amazon oder Alibaba im Vorteil, aber das ist meines Erachtens nur eine Momentaufnahme. Entscheidend ist am Ende das Fulfillment. Die diesbezügliche Erwartungshaltung der Profikunden und ihre Anforderungen an die Supply Chain sind sehr hoch und umfassen beileibe nicht nur den Bestellprozess von Standardteilen, auf den sich die Onlinekonkurrenz spezialisiert hat. Ob es sich am Ende lohnt, die Mühsal auf sich zu nehmen, muss jeder Betrieb für sich entscheiden. Familienunternehmen haben da auf jeden Fall differenzierte Triebkräfte, die ihr Dasein und ihre Entwicklung bestimmen. Positiv ist, dass die Digitalisierung im Technischen Handel überwiegend nicht als Bedrohung verstanden wurde, sondern mehrheitlich als absolut notwendiger Anpassungsprozess betrachtet wird, dem man sich unterziehen muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Diesen Wandel sehen viele Firmen als Herausforderung und Chance, neue Wege zu gehen. Nichtsdestotrotz wird er zuweilen auch als Belastungsprobe wahrgenommen, weil kein Technischer Händler wie ein Start-Up-Unternehmen auf der grünen Wiese neu anfangen kann, sondern verschiedenen Restriktionen unterworfen ist, die seine Herkunft mit sich bringen. Ich sehe das allerdings positiv, denn wer seine Wurzeln verleugnet, der stirbt ab. Deshalb ist es gut, eine Tradition zu haben und für ein Geschäftsmodell einzustehen, das bislang sehr erfolgreich war. Und warum soll das nicht auch in Zukunft so sein? Es bleibt auf jeden Fall spannend.
Kahler: Vielen Dank für das Interview.
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