4. November 2024
In einer Welt, die zunehmend von digitalen Dienstleistungen geprägt ist, stellt der European Accessibility Act (EAA) einen Wendepunkt dar – er ist ein Wegbereiter für Gleichberechtigung und Barrierefreiheit im digitalen Raum. Diese Regelung eröffnet neue Horizonte für Verbraucher*innen und Unternehmen gleichermaßen. Es ist nicht nur ein Zeichen für Fortschritt, sondern auch ein Aufruf an die Wirtschaft, die digitale Landschaft inklusiver zu gestalten.
Doch was genau verbirgt sich hinter dem EAA? Welche Implikationen hat er für diejenigen, die ihre Produkte und Services online anbieten oder nutzen? Und wie wird das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) diesen Wandel ergänzen und erweitern? Diese und weitere Fragen werden im folgenden Inhalt beleuchtet, praktische Leitlinien für die Umsetzung geliefert.
In Europa sind mehr als 87 Millionen Menschen von einer Form geistiger oder körperlicher Behinderung betroffen. Das bedeutet, dass jede*r fünfte Europäer*in eine Einschränkung hat. Deshalb erkannte der Gesetzgeber die Notwendigkeit, EU-weit gültige Standards für den barrierefreien Zugang zu digitalen Produkten und Services zu definieren.
Dies trägt zum einwandfreien Funktionieren des Binnenmarkts bei und steigert die soziale Inklusion von Menschen mit Einschränkungen in sowohl öffentlichen als auch privaten Bereichen.
Ab dem 28. Juni 2025 wird die digitale Barrierefreiheit für E-Commerce-Plattformen verpflichtend. Die Europäische Richtlinie zur digitalen Barrierefreiheit, bekannt als der European Accessibility Act (EAA), setzt neue Maßstäbe für die Barrierefreiheit und führt neue Vorschriften ein, die von Onlinehändlern eingehalten werden müssen. Diese basieren auf den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG), wobei in der Europäischen Union der AA-Standard Anwendung findet, ergänzt durch weitere Regularien und Ausführungen. Dies resultiert in einer umfänglichen DIN-Norm: Der DIN EN 301 549.
In Deutschland verpflichtet das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) zur Umsetzung des EAA, indem es die EU-Vorschriften in nationales Recht integriert. Zusätzlich regelt das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), dass öffentliche Stellen ihre Online-Angebote und mobilen Anwendungen nach den Bestimmungen der BITV 2.0 gestalten, welche auf den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG 2.1 Stufe AA) basieren. Das Konzept baut auf weiterführenden Kriterien auf, die etwaige Grauzonen der WCAG reduzieren, Anforderungen konkretisieren und mit den genauesten Prüfschritten spezifizieren, ergänzt um Anforderungen wie leichte Sprache und zusätzliche technologische Anforderungen. Diese Regelungen stellen sicher, dass sowohl öffentliche als auch private Anbieter digitale Dienstleistungen und Produkte anbieten, die für alle Nutzer*innen gleichermaßen zugänglich sind.
In der Schweiz ist das Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) das maßgebliche Gesetz für digitale Barrierefreiheit. Öffentliche Einrichtungen sind nach BGStG verpflichtet, ihre digitalen Angebote den WCAG-Standards entsprechend zugänglich zu machen, wofür üblicherweise die Stufe AA der WCAG angestrebt wird. Obwohl die Schweiz kein EU-Mitgliedsstaat ist und daher nicht direkt dem EAA (European Accessibility Act) untersteht, reflektiert die Implementierung des BGStG analog der DSGVO, indem sich die Schweizer Gesetzgebung jener der EU anpasst. Dadurch wird die Einführung analoger Zugänglichkeitsstandards gefördert, was sicherstellt, dass auch in der Schweiz digitale Inhalte und Dienste für alle Personen, unabhängig von ihren Fähigkeiten, barrierefrei sind. Vor diesem Hintergrund ist auch im privatwirtschaftlichen Sektor mit weiteren Verschärfungen der Vorschriften zu rechnen.
Für die Nutzer*innen von digitalen Plattformen stellt der EAA eine zukunftsweisende Verbesserung dar. Er sorgt dafür, dass Barrierefreiheit nicht nur eine nachträgliche Anforderung ist, sondern von Anfang an berücksichtigt wird. Somit sollen digitale Barrieren, welche viele Menschen zu lange von einer gleichberechtigten Teilhabe in der digitalen Welt ausgeschlossen oder erschwert haben, bald der Vergangenheit angehören. Die Richtlinie strebt an, Chancengleichheit in Sektoren wie dem Arbeitsmarkt, der Bildung, dem Transportwesen und ebenso im Handel zu fördern.
Die Richtlinie zielt hauptsächlich auf Personen ab, die eine geistige, oder körperliche Beeinträchtigung haben oder keine hohe Digitalkompetenz haben. Eine barrierefreie Gestaltung verbessert allerdings insgesamt das Online-Erlebnis, indem sie sicherstellt, dass alle Nutzergruppen eine digitale Plattform und deren Inhalte problemlos nutzen können. Dies gilt insbesondere für ältere Menschen, die von gut lesbaren Schriftgrößen und starken Kontrasten profitieren, wenn die Sehkraft nachlässt. Auch Nicht-Muttersprachler*innen ziehen Vorteile aus Texten in einfacher Sprache sowie Glossaren, die für sie verständlicher sind. Generell profitieren alle davon, wenn sie sich durch klare, intuitive Navigation und eindeutige Inhalte einfach im Internet zurechtfinden können.
Eine bessere Usability minimiert Nutzungsbarrieren und schafft zusätzlich positive Synergieeffekte für die gesamte Customer Journey oder Performance. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Suchmaschinenoptimierung (SEO): Videos mit Untertiteln, aussagekräftigen Zwischenüberschriften und Alternativtexte, die für Screenreader zugänglich sind, werden von Suchmaschinen wie Google besser indexiert und genießen höhere Rankings. Unternehmen, die ihre digitale Präsenz barrierefrei gestalten, erhöhen dadurch nicht nur ihre Sichtbarkeit und erweitern den Kreis potenzieller Kund*innen, sondern optimieren auch die User Experience und fördern die Inklusion ihrer Mitarbeitenden, die möglicherweise Einschränkungen haben.
Die EAA-Richtlinie adressiert Barrierefreiheit in einer breiten Palette an Produkten und Dienstleistungen, um allen Bürger*innen, insbesondere denen mit Einschränkungen, gleichberechtigten Zugang zu ermöglichen. Folgende Kategorien sind davon betroffen:
Waren:
Dienstleistungen:
Wichtig ist hier der Hinweis, dass sich die Anforderungen an alle richten, deren Produkte und Dienstleistungen sich an Endverbrauchende ausrichten. Somit sind neben B2C Unternehmen auch B2B2C Unternehmen in der Verantwortung, Barrierefreiheit umzusetzen.
Herstellende und Anbietende dürfen ihre Produkte und Dienstleistungen nur auf dem Markt anbieten, wenn sie Barrierefreiheitsanforderungen erfüllen. Dies müssen Hersteller in einem Konformitätsbewertungsverfahren und einer Konformitätserklärung nachweisen.
Für Händler gilt zusätzlich, dass sie Produkte, bei denen der Verdacht besteht, dass sie Barrierefreiheitsanforderungen nicht erfüllen, nicht vertreiben dürfen. Entsprechende gesetzliche Grundlagen bieten Untersagungsverfügungen gemäß §§ 23 Abs. 3, 30 Abs. 3 des Bundesgesetzes für Barrierefreiheit von sozialen Medien (BFSG) und Verpflichtungen zum Produktrückruf gemäß §§ 22 Abs. 4, 26 Abs. 3 BFSG.
Dienstleistungserbringende sind ebenfalls in der Pflicht, in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zu erläutern, wie ihre Dienstleistungen die Barrierefreiheitsanforderungen erfüllen. Darüber hinaus müssen sie in barrierefreier Form folgende Informationen bereitstellen:
Wenn die Barrierefreiheitsanforderungen nicht erfüllt werden, kann dies als Verstoß gegen das Gewährleistungsrecht als Sachmangel betrachtet werden.
Die Regelungen des § 434 Abs. 3 BGB legen fest, was ein Verbraucher*in objektiv von den Produkten erwarten kann. Im Bereich der Sachmangelhaftung ist besonders zu beachten, dass negative Abweichungen von der objektiven Beschaffenheit (negative Beschaffenheitsvereinbarungen) gemäß § 476 Abs. 1 BGB klar und deutlich kommuniziert und gesondert vereinbart werden müssen.
Bei Nichteinhaltung der Vorschriften können Bußgelder gemäß § 37 BFSG bis zu 100.000 EUR verhängt werden. Dies gilt ebenso für Schweizer Unternehmen, die in der EU beziehungsweise in Deutschland tätig sind – auch sie müssen bei Verstößen mit Bußgeldern in dieser Höhe rechnen.
Sollten die Anforderungen der Barrierefreiheit missachtet werden, ist die Marktüberwachungsbehörde ermächtigt, den Rückruf oder die Einstellung des betreffenden Produktes oder der Dienstleistung anzuordnen.
Betroffene Nutzer*innen haben gemäß §§ 32, 33 BFSG das Recht, sich direkt an die Marktüberwachungsbehörde der Bundesländer zu wenden, um Verstöße geltend zu machen. Dieses Recht steht auch von dem Behindertengleichstellungsgesetz anerkannten Verbänden und Einrichtungen eigenständig zu.
Zuletzt besteht für Mitbewerbende die Möglichkeit, bei Verstößen im Wege der wettbewerbsrechtlichen Abmahnung vorzugehen. Dies kann zu Unterlassungsansprüchen und Schadensersatzforderungen führen.
Der Americans with Disabilities Act (ADA) ist ein leuchtendes Beispiel für die Verankerung von Bürgerrechten für Menschen mit Behinderungen und zeigt entscheidende Weichenstellungen auf, um Diskriminierung in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens zu unterbinden. Als umfassendes Bürgerrechtsgesetz, das seit 1990 in Kraft ist, hat der ADA dazu beigetragen, dass Menschen mit Behinderungen in den USA die gleichen Chancen und Rechte genießen wie andere Bürger*innen auch. Der ADA bietet Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz, in Bildungseinrichtungen, an der Öffentlichkeit zugänglichen Orten und im Verkehr. Dieser Schutz ist vergleichbar mit dem, der auch auf Grundlage von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Nationalität, Alter und Religion gewährt wird.
Einschneidende Veränderungen wurden durch den Americans with Disabilities Act Amendments Act (ADAAA) von 2008 eingeführt, der die Definition von „Behinderung“ wesentlich erweiterte und so den Schutz für Betroffene stärkte. Die Neuerungen betreffen alle Bereiche des ADA und ermöglichen so eine inklusivere Anwendung des Gesetzes, wobei private Arbeitgeber*innen, staatliche und lokale Behörden und öffentliche Einrichtungen gleichermaßen einbezogen sind.
Vom ADA lernen wir, dass Gesetze sich weiterentwickeln müssen, um den Anforderungen gerecht zu werden und um sicherzustellen, dass Menschen mit Einschränkungen tatsächlich gleiche Teilhabe und Chancengerechtigkeit erfahren. Vom ADA und seinen Erweiterungen lernen wir, dass Gesetze sich weiterentwickeln müssen, um dynamisch und aktiv zur Gestaltung einer gerechteren Gesellschaft beizutragen. Er ist ein Modell für Rechtssysteme weltweit. Sie legen die Messlatte hoch für die Einführung ähnlicher Gesetze in anderen Rechtssystemen, einschließlich des European Accessibility Act, und dienen als Leitfaden für die Ausarbeitung von Richtlinien, die Inklusion und Barrierefreiheit in den Vordergrund stellen.
Der European Accessibility Act, der am 28. Juni 2025 durch nationale Gesetze in Kraft tritt, spielt eine entscheidende Rolle für die Zukunft der Unternehmenslandschaft Europas.
Um Ihren Online-Shop im Sinne des EAA barrierefrei zu gestalten, ist es wichtig, sich mit den relevanten Standards vertraut zu machen und entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Hier sind sieben Punkte, die Ihnen dabei helfen können, Ihre digitalen Angebote barrierefrei zu optimieren:
Dokumenttitel: Sorgen Sie dafür, dass der Titel im Browser-Tab kurz, klar und prägnant den Inhalt der Seite widerspiegelt, was besonders für Nutzer*innen mit Screenreadern essenziell ist.
So können Sie es testen: Überprüfen Sie bei mehreren geöffneten Tabs Ihrer Webseite, ob die Dokumenttitel unterscheidbar und eindeutig sind.
Alternativtexte für Grafiken: Beschreibende Alternativtexte sind entscheidend für die Barrierefreiheit von Bildern, insbesondere wenn diese Inhalte vermitteln oder interaktiv sind.
So können Sie es testen: Analysieren Sie den Alternativtext im Quellcode Ihrer Webseite, um sicherzustellen, dass er die Funktion oder den Kontext der Grafik verständlich macht. Testen Sie Videos nach Untertiteln und Zusammenfassungen.
Interaktive Elemente: Buttons und Links müssen klar kennzeichnen, wohin sie führen oder welche Funktion sie haben und per Tastatur bedienbar sein.
So können Sie es testen: Kontrollieren Sie die Tastaturbedienbarkeit durch die Navigation via Tab-Taste und prüfen Sie auf eine visuelle Hervorhebung bei Interaktionen.
Icons: Selbst allgemein bekannte Icons sollten beschriftet sein, um von allen Nutzer*innen verstanden zu werden.
So können Sie es testen: Überprüfen Sie, ob alle Icons intuitiv verständlich sind oder ob zusätzliche Beschriftungen notwendig sind. Nehmen Sie die Perspektive einer Person ein, der mit Ihrem Webauftritt nicht vertraut ist.
Formulare: Das Feedback bei Formulareingaben muss direkt und klar sein, Fehler sollten genau und verständlich kommuniziert werden.
So können Sie es testen: Testen Sie die Formulare mit der Tab-Taste und achten Sie auf die Klarheit des Feedbacks. Es darf nicht nur farbbasiert sein und muss dem Nutzer*innen weiterhelfen.
Design & Farben: Stellen Sie sicher, dass Ihr Design die Zugänglichkeitsvorgaben bezüglich Kontrasts, Schriftgröße und Zeichenabstand erfüllt.
So können Sie es testen: Überprüfen Sie mithilfe eines Kontrast-Checkers, ob die Kontrastverhältnisse den WCAG 2.1 AA entsprechen.
Zielführende Navigation: Eine klare Navigation mit einfachen, nicht überladenen Menüs und verständlichen Filteroptionen ist essenziell für eine barrierefreie Bedienbarkeit.
So können Sie es testen: Evaluieren Sie die Verständlichkeit Ihrer Navigation und die Effektivität der Filteroptionen. Achten Sie auf Sackgassen bei der Tastaturbedienung.
Wir helfen Ihnen auf pragmatische Weise Ihr individuelles Barrierefreiheits-Level herauszufinden, zu erhalten, zu optimieren und eigene Kompetenz aufzubauen. Dabei orientieren wir uns an Schwachstellen und Potenzialen und immer an aktuellen internationalen Richtlinien. Ob einzeln oder im Komplettpaket – unser Expertenwissen sichert Ihnen umfassende Unterstützung auf dem Weg zur digitalen Barrierefreiheit.
Entdecken Sie unser End-to-End Beratungsportfolio für digitale Barrierefreiheit
Ihre Ansprechpartnerin
Alexandra Gurtner
Certified Professional in Accessibility Core Competencies (CPACC)
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