16. März 2020
Martin Hofer gilt als alter Hase in der Welt des Supply Chain Managements, sein Expertenurteil wird in der Branche geschätzt. Als Projektleiter bei der Wassermann AG 1997 gestartet, ist er heute Partner von valantic und Geschäftsführer des valantic Competence Centers Supply Chain Excellence, in der die Wassermann AG im Jahr 2017 aufgegangen ist. In unserer Blog-Reihe „5 Fragen an…“ sprachen wir mit Martin über die aktuellen Herausforderungen der Unternehmen in Bezug auf das Supply Chain Management, über die Veränderungen seit dem Anschluss an die valantic Gruppe und die Zukunft der Branche.
Martin, seit 2017 firmiert die Wassermann AG, die Jahrzehnte lang zu den führenden Supply-Chain-Management-Anbietern im deutschen Markt gehörte, unter dem Dach von valantic. Du hast die Zeiten bei der Wassermann AG noch live miterlebt und auch unter dem Gründer Otto Wassermann gearbeitet. Was hat sich seither für das Unternehmen verändert?
Oft vergisst man, wie jung die Disziplin Supply Chain Management überhaupt ist. In den frühen 1980er Jahren tauchte der Begriff erstmals auf. Mit Gründung der Wassermann AG 1983 hat Otto Wassermann damals wesentlich dazu beigetragen, Supply Chain Management überhaupt als Thema und Aufgabe in Deutschland groß und bekannt zu machen. Auch die visiondays, die die Wassermann AG ab 1990 als Fachkongress veranstaltete, haben wesentlichen Anteil daran, dass sich SCM als eigenständige Disziplin und der Supply-Chain-Planer als Berufsbild etablieren konnten.
Viele Ideen, Konzepte und Gedanken haben noch heute Gültigkeit. So hat Otto Wassermann schon damals gegen „Informationssilos“ und „Abteilungsdenken“ gewettert. Als Pionier plädierte er früh dafür, die Wertschöpfungsketten als Ganzes zu steuern und zu optimieren, rückstandsfrei zu planen und – damals noch keine Selbstverständlichkeit – dies über Softwaretools zu tun. Hohe Termintreue, möglichst kurze Durchlaufzeiten, niedrige Vorräte und Bestände, Kostenoptimierungen – diese Themen und Zielsetzungen bewegen Supply Chain Manager noch heute.
Das sind auch die Kernthemen und Herausforderungen von valantic. Was sich deutlich weiterentwickelt und teilweise radikal geändert hat, sind die technischen Möglichkeiten, Methoden und Tools. Sie schaffen völlig neue Möglichkeiten und verändern damit die Arbeit der Supply-Chain-Verantwortlichen. Heute laufen die Informationen aus weltweiten Lieferketten in Echtzeit in die Systeme ein. Auch über vorgelagerte Prozesse werden wir informiert, weil Systeme von Kunden, Lieferanten und Logistikpartner miteinander vernetzt sind. Alle beteiligten Mitarbeiter können überall und jederzeit über den gleichen Informationsstand verfügen und unsere Software vermag auch komplexeste Wertschöpfungsketten in all ihren Abhängigkeiten simulieren. Der „single point of truth“ ist heute in Echtzeit in einem Unternehmensnetz Realität geworden.
Die Wassermann AG hat durchaus eine spezielle Philosophie und Herangehensweise in Sachen Supply Chain Management gehabt. Habt Ihr diese weitestgehend übernommen oder gab es Veränderungen unter der Ägide von valantic?
Ja, das stimmt. Otto Wassermann hatte klare Konzepte, war streitbar und vertrat seine Ideen mit großer Leidenschaft. Aber brauchen das Visionäre nicht auch? Müssen sich nicht Widerstände bei ihrem Aufstieg überwinden? Da kann man nicht immer und für alle ein „liebenswerter Kerl“ sein?
Fachlich sind viele Grundkonzeptionen im Supply Chain Management weiter gültig – und dennoch verändern sie sich. Ein Beispiel: Ein Credo der Wassermann AG war immer, dass zu einer leistungsstarken Supply Chain auch eine schlagkräftige Aufbau- und Ablauforganisation gehört. Konkret: Jemand muss über alle Stufen der Supply Chain hinweg planen können, entscheidungsfähig und entscheidungsbefugt sein. Bis heute gehört daher Organisationsberatung zu unserem Portfolio. Viele unserer Projekte sind zu einem großen Teil Organisationsprojekte und nicht nur Technologieprojekte.
Blicke ich in die Zukunft und schreibe die schnelle Entwicklung bei Digitalisierung, Software und Künstlicher Intelligenz fort, sehe ich hier durchaus Veränderungen am Horizont. So bin ich überzeugt, dass viele Entscheidungen künftig von IT-Systemen getroffen werden. Schon heute erstellen wir über die Software komplette Planungsbilder und Szenarien auf Basis von Optimierungsregeln – der menschliche Planer kontrolliert und optimiert dann auf Basis dieses Vorschlags. Der Mensch wird letztlich in Verantwortung bleiben, aber viele Detailentscheidungen können automatisiert von lernenden Systemen getroffen werden.
Genau hier, bei der Weiterentwicklung der Tools und Software profitieren unsere Kunden von unserer neuen Aufstellung. Dank der Verschmelzung mit valantic verfügen wir heute über ganz andere Möglichkeiten, können auf ein großes Netzwerk von Experten zugreifen. So sind wir heute SAP Partner in den Disziplinen S/4, C/4HANA, IBP, EWM und TM. Auch im Bereich Cloud-Technologien und mit unserer waySuite können wir modernste SCM-Strategien/Ansätze realisieren.
Wie hat sich denn Deine Arbeit innerhalb der valantic Gruppe in den vergangenen Jahren verändert?
An meiner Arbeit merke ich: Digitalisierung braucht Vernetzung – nicht nur zwischen Systemen, sondern auch zwischen Menschen. Neben meinen Tätigkeiten als Geschäftsführer sehe ich meine Hauptaufgabe heute verstärkt darin, Kunden, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Competence Centers für Supply Chain Excellence, aber auch die Kolleginnen und Kollegen aus der gesamten valantic Gruppe zu vernetzen. Bei valantic ist heute enormes Know-how gebündelt, sowohl auf der IT-Seite als auch fachlich. Das möchte ich für die Projekte unserer Kunden nutzen. Aber von selbst kommt dies in den Kundenprojekten ja nicht zusammen. Wer nicht weiß, dass es ein spezielles Know-how und einen Experten oder eine Expertin in unserem Unternehmen gibt, kommt auch nicht auf die Idee, diese in einem Projekt um Hilfe und Beratung zu bitten. Gleichzeitig braucht es oft Hilfe, Anforderungen des Kunden so zu „übersetzen“, dass IT-Experten wissen, wo und wie sie wirklich sinnvoll ansetzen können. Oder es braucht neue Kompetenzen, die wir in unserem Unternehmen bereitstellen müssen, um unsere Kunden weiter unterstützen und begeistern zu können.
Ich habe mal gelesen, dass ein Geschäftsführer weniger für sein Unternehmen, als vielmehr an seinem Unternehmen arbeiten soll. Ich denke, da ist das Team der Geschäftsführer und Partner in der valantic Gruppe auf einem guten Weg.
Welche grundlegenden Herausforderungen siehst Du denn heute für die Unternehmen in Sachen Logistik und Supply Chain Management und bedeutet Supply Chain Excellence heute etwas anderes als früher?
Termintreue, niedrige Kosten und Bestände, kurze Durchlaufzeiten – bei den grundlegenden Zielen hat sich im Supply Chain Management wenig geändert. Die Tools haben sich wie gesagt dramatisch verbessert – aber gleichzeitig sind auch die Rahmenbedingungen deutlich komplexer geworden. Lieferketten sind heute sehr vielschichtig, international und müssen in der Lage sein, extrem schnell auf Schwankungen volatiler Beschaffungs- und Absatzmärkte reagieren zu können. Flexibilität hat heute einen ganz anderen Stellenwert als früher. Hat ein Automobilhersteller früher von Variantenvielfalt gesprochen, so waren diese einige wenige Modelle. Nehmen Sie heute einmal das Beispiel unseres Kunden BMW: deutlich mehr Modellreihen, in deutlich mehr Varianten und Länderversionen. Und wer einmal im Internet ein Auto konfiguriert hat, erahnt, dass sich auch unter Zehntausenden von ausgelieferten BMWs nur selten zwei identische Modelle finden. Ein anderes Beispiel: Vor Jahren haben wir an der Einbindung der Daten von Zulieferern, Entwicklungs- und Projektteams gearbeitet – heute nutzen einige Kunden Wetter-, Verkehrs- oder Wirtschaftsdaten aus dem Internet, um in der SCM-Software mögliche Effekte auf ihre Lieferketten beherrschen zu können.
Ihr seid mit dem neuesten Produkt Connected Chain Manager aus dem Hause valantic jetzt auch in die Cloud gegangen – was ein neuer Schritt für Euch ist. Kannst Du uns erklären, wie es dazu kam?
Wir beobachten schon seit einigen Jahren, dass durch die Globalisierung die weltweiten Liefernetzwerke komplexer werden und immer mehr Unternehmen an der Wertschöpfung beteiligt sind. Vor allem in jüngster Vergangenheit steigt parallel dazu die Notwendigkeit, diese Liefernetzwerke transparent zu gestalten. Dies kann entweder mit dem Hintergrund der Versorgungssicherung und Risikominimierung oder aber auch aus Gründen der Supply Chain Responsibility geschehen: Die Verbraucher entwickeln derzeit ein gestiegenes Interesse an der Herkunft und Nachhaltigkeit ihrer gekauften Produkte. Nur eine Software in der Cloud ermöglicht es uns, Informationen aus so vielen, weltweit vernetzten Unternehmen zu bündeln und zu strukturieren. Daher war es für uns der einzig gangbare Weg, unseren Connected Chain Manager, der all diese Informationen aufbereitet und allen Supply-Chain-Partnern zur Verfügung stellt, als Online-Plattform anzubieten.
Vielen Dank Martin für das Gespräch!
Nichts verpassen.
Blogartikel abonnieren.